Todeskind: Thriller (German Edition)
wie ein Tribunal vorkamen. Joseph, Hector, Agent Novak und Detective McManus. Agent Kerr aus Pittsburgh hatte die Suche nach der vermissten Heather Lipton in die Wege geleitet und war zurückgekehrt, um sich nun ebenfalls in das Zimmerchen zu quetschen. Und dann war es so weit.
Joseph hatte sie noch nicht wieder angesehen seit seiner spontanen Reaktion, die zu gleichen Teilen aus Schock und Zorn bestanden zu haben schien. In den Mienen der anderen zeigte sich entsetzter Abscheu. Nur in Fords Miene nicht. Er sah aus, als habe man ihm das Herz gebrochen. Als habe man ihn verraten. Und er wusste noch nicht einmal über Kimberly Bescheid.
Du wusstest es und hast nie etwas gesagt? Keiner hatte die Frage gestellt, aber Daphne hatte sie dennoch gehört. Sie stand allen ins Gesicht geschrieben.
Daphne drückte die Fingerspitzen gegen ihre Schläfen. Ihr Kopf schmerzte. Ihr Herz schmerzte, weil Joseph sie noch immer nicht ansehen wollte.
Und Beckett hatte wieder ein Mädchen. Wieder eins. Die Worte waren wie Dolche.
Es ist siebenundzwanzig Jahre her, dass er Kelly und mich gefangen hat. Wie viele hatte er in der Zwischenzeit entführt? So viel Blut klebte an ihren Händen. Lieber Gott. Das konnte man nicht verdrängen. Das war nicht zu vergeben. Was habe ich getan?
Sie holte Luft, und ihre Brust war so eng, dass selbst das Atmen schmerzte. Bring es hinter dich. Und dann stell dich den Konsequenzen.
»Ich war mir sicher, dass er tot ist«, begann sie tonlos. »Ich suchte nach ihm und bekam einen Totenschein vom Bezirksgericht. Das sollten Sie wissen, bevor ich anfange.« Sie sah die Männer vor ihr nacheinander an. »Nur damit Sie mich nicht für ein Ungeheuer halten.«
Nun sah Joseph sie an, und sie sah Überraschung in dem Zorn, der in seinen Augen glomm. Überraschung und Reue. Aber was bereute er? Dass er wütend war? Dass er mit mir zusammen war?
»Dafür habe ich dich nicht gehalten«, murmelte Joseph, und sie hätte ihm so gerne geglaubt. »Kein einziges Mal.«
»Ich auch nicht«, sagte Hector.
Mühsam stemmte Ford sich hoch und nahm Daphnes Hand. »Ich kenne dich schon eine verdammt lange Zeit, Mom. Du bist wahrhaftig kein Ungeheuer.«
Die anderen Männer schwiegen abwartend. Hielten sich mit dem Urteil zurück. Das muss reichen.
»Danke, Ford.« Ihre Stimme brach, und sie musste sich räuspern, bevor sie fortfahren konnte. »Zum besseren Verständnis muss ich erst etwas über meine Familie sagen. Mein Vater war Musiker, aber er arbeitete wie alle anderen in unserer Gegend in einer Kohlenmine, damit wir genug zu essen hatten. Wir kamen über die Runden und waren eigentlich recht zufrieden. Mama war eine von fünf, und ihre Familie lebte verstreut um uns herum, bis auf Vivien, Mamas älteste Schwester, die als Vertreterin viel unterwegs war. Vivien war Kellys Mutter. Ich habe keine Ahnung, ob jemand wusste, wer Kellys Vater war.
Vivien hatte immer viele Freunde, und ich habe meine Eltern oft sagen hören, dass es unmöglich gut für Kelly sein könne, wenn ständig unterschiedliche Männer ein und aus gingen. Wenn Vivien unterwegs war, wohnte Kelly bei uns. Irgendwann war Vivien nur noch am Wochenende zu Hause, so dass Kelly praktisch bei uns einzog. Dann überraschte Vivien uns alle, indem sie einen Mann heiraten wollte, den sie auf Reisen kennengelernt hatte. Ausgerechnet einen Prediger! Wir waren total glücklich, dass sie endlich jemanden gefunden hatte und zur Ruhe kommen würde.
Die Hochzeit fand in der Kirche statt, aber ich hatte eine dicke Erkältung und durfte nicht mit. Man erzählte mir später, wie es gewesen war, offenbar lief es ganz und gar nicht wie geplant. Kelly tauchte in superknappem Minirock auf, trank zu viel und flirtete hemmungslos mit allen anwesenden Männern. Da sie erst siebzehn war, war das schon schlimm genug, aber dann verschwand sie kurzzeitig mit dem Bruder des Bräutigams, und man erwischte die beiden, wie sie es auf dem Taufbecken trieben. Vivien tobte. In ihren Augen hatte Kelly alles kaputt gemacht, ihr Verhalten sei ›der Tochter eines Geistlichen nicht angemessen‹.«
»Klingt, als habe sie einfach nur die Aufmerksamkeit ihrer Mutter gewollt«, bemerkte Joseph.
»Wahrscheinlich, aber der Schuss ging nach hinten los. Nach der Hochzeit blieb Kelly auch an den Wochenenden bei uns. Vivien wollte nichts mehr von einer Tochter wissen, die ›säuft und rumhurt‹. Tja, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, aber das sah Vivien nicht. Ich übrigens auch nicht. Aber ich
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