Todeskind: Thriller (German Edition)
spürte die Sonne auf dem Gesicht und gönnte sich ein paar Sekunden, bevor er weiterrutschte. Er war nur wenige Zentimeter vorwärtsgekommen, als es wieder kalt wurde. Mist. Das Fenster ist hoch und schmal.
Er kroch weiter, bis er gegen eine Wand stieß. Sie war kalt an seiner Wange. Strukturiert. Betonblöcke. Nicht gut. Beton ließ sich schwerlich durchbrechen.
Ohne auf den Schmerz in seinem Kopf zu achten, drückte er seine Schläfe gegen die Wand und rieb fest und unnachgiebig, bis die Augenbinde verrutschte. Ja! Er konnte sehen!
Er befand sich in einer Garage, vielleicht sieben mal sieben Meter groß. Hinter einem Stapel Feuerholz entdeckte er das Garagentor, doch nach dem Rost der Ketten zu urteilen, mit denen es gesichert war, hatte man es schon seit Jahren nicht benutzt. Dicke Vorhängeschlösser hingen davor. Da komme ich nicht raus.
Ford blickte auf. Verdammt. Das Fenster hatte mindestens eineinhalb Meter Abstand vom Boden und war nicht einmal breit genug für ein Kleinkind. Er drehte den Kopf, um über die Schulter zu blicken, aber seine Augen schienen sich eigenständig zu schließen. Ich will gar nicht sehen, was diesen Gestank verursacht. Doch schließlich zwang er sich, die Augen zu öffnen, und stieß schaudernd die Luft aus.
Nicht Kim. Kein Mensch. Hund oder Katze vielleicht. Oder etwas anderes . Aber kein Mensch.
Links vom Kadaver befand sich eine Tür. Er setzte sich in Bewegung und kroch darauf zu.
Da bin ich wieder. Hast du mich vermisst? Ford schluckte. Mit was für einem kranken Spinner hatte er es zu tun? Ein kranker Spinner, der Leute mit einer Elektroschockpistole außer Gefecht setzt und sie dann verschleppt, dachte er grimmig.
Und er hat auch Kim. Es sei denn, sie konnte abhauen. Bitte, bitte lass sie abgehauen sein.
Er kroch zur Tür, zog sich daran hoch und drückte. Nichts. Sie bewegte sich nicht. Erschöpft lehnte sich Ford mit dem Rücken dagegen und ließ sich wieder hinabgleiten. Hoffnungslos.
Hör auf! Er schloss die Augen. Reiß dich zusammen. Du musst die Stricke durchtrennen. Wenn du dich nicht bewegen kannst, wirst du dich auch nicht befreien können. Also such dir was Scharfes. Irgendwas.
Er schlug die Augen wieder auf. Sein Blick fiel auf einen Cutter, der unter einem Kunststoffregal lag. Mit etwas Glück wäre er scharf genug.
Ford kroch wieder zurück und verlangsamte sein Tempo, als er an dem Kadaver vorbeikam. Was sollte das eigentlich? Gestern hatte es hier garantiert noch kein totes Tier gegeben, an den Gestank hätte er sich erinnert. Er brachte sich dazu, genauer hinzusehen. Eine Katze. Zumindest war es mal eine gewesen. Blut konnte er keines entdecken, aber das Fell war schmutzig und mit Erdklumpen verklebt, als hätte das Tier schon unter der Erde gelegen und wäre wieder ausgegraben worden. Wie krank ist das denn?
Am Hals bemerkte er ein Halsband mit einer Marke. Das Halsband war alt, die Marke nagelneu. Glänzend. In verschnörkelten Buchstaben stand der Name »Fluffy« darauf. Was soll das?
Darüber kannst du später nachdenken. Erst einmal brauchte er den Cutter.
Baltimore, Maryland
Dienstag, 3. Dezember, 10.20 Uhr
Mit einem flüchtigen Blick zu Clay Maynard nahm Special Agent Deacon Novak seine Sonnenbrille ab und marschierte in die Gasse, als gehörte sie ihm, wie es eben seine Art war.
Genau diese Art fand Joseph sehr ärgerlich, aber Bo Lamar schwor, dass der Mann seine Qualitäten besaß. Manchmal fragte Joseph sich allerdings, ob Bo die Kunst des dramatischen Auftritts auch zu den nützlichen Qualitäten zählte.
Sobald Deacon den Tatort begutachtet hatte, kam er zurück, ging neben dem Toten in die Hocke und betrachtete ihn. »Und wer ist der Kerl?«, fragte er über die Schulter.
»Er heißt Isaac Zacharias«, antwortete Joseph. »Er war Cop beim DCPD. Nebenbei hat er als Leibwächter für Mr. Maynard gearbeitet und auf den Sohn von Staatsanwältin Montgomery aufgepasst. Besagter Sohn wird vermisst.«
Deacon entdeckte die AFID-Plättchen. »Taser.« Er richtete seine nun nicht mehr verdeckten Augen auf Maynard, dessen Blick sich unwillkürlich weitete – die übliche Reaktion von Leuten, die Deacons Augen zum ersten Mal sahen.
Deacon war sich dessen bewusst und nutzte es, wie Joseph vermutete, voll aus. Obwohl er erst um die dreißig war, waren seine Haare schlohweiß, und das offenbar schon seit Jahren. Aber es waren seine Augen, die die Leute wirklich aus den Schuhen hauten. Die Iris war zweifarbig – und zwar in beiden
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