Todeskind: Thriller (German Edition)
erinnerst?«
»Sein Lächeln. Wenn er die Treppe hochkam, nachdem er Kelly … vergewaltigt hatte, lächelte er mich immer an, als sei alles in bester Ordnung. Als sei er … bloß ein netter Onkel. Als ich dann wieder zu Hause war und er versuchte, mich in Schach zu halten …«
»Dich terrorisierte, meinst du?«, unterbrach Joseph sie barsch. »Denn das war es, was er getan hat. Ein Erwachsener hat ein unschuldiges Kind terrorisiert.«
Eine Stimme durchdrang die Erinnerung an Beckett. »Genau das hat auch Maggie gesagt.«
Sie spürte seine Überraschung. »Maggie wusste davon?«
»Sie und die FBI-Agentin, bei der ich meine Aussage gemacht hatte, sind die Einzigen, die das wussten.«
»Kannten sie auch seinen Namen?«
»Maggie nicht. Sie konnte mich nicht dazu bringen, ihn auszusprechen. Als ich Agent Baker die Geschichte erzählte, habe ich den Namen zum ersten und letzten Mal genannt. Bis heute Abend, versteht sich.«
Er nickte nachdenklich. »Er lächelte also immer, wenn er dich terrorisierte?«
»Ja. Davon wurde mir regelrecht übel. Das letzte Mal lauerte er mir an jenem Tag auf, an dem ich Travis begegnete. Ich ging nach der Arbeit zur Bushaltestelle, und da stand Beckett unter einer Laterne. Er lächelte und machte seine übliche Geste. Ich rannte zurück zum Restaurant und übergab mich in der Toilette. Dann rief ich Maggie an, damit sie mich abholte. Sie flehte mich an, ihr den Namen zu nennen, aber ich hatte zu große Angst.«
»Maggie sagte, sie sei sozusagen eine adoptierte Großmutter. Wie habt ihr sie kennengelernt?«
»Nachdem mein Vater uns verlassen hatte, zogen Mama und ich nach Riverdale, wo sie eine kleine Souterrainwohnung bei einer netten Dame gefunden hatte.«
»Und das war Maggie?«
»Ja. Sie hatte ein großes Farmhaus auf einem großen Grundstück und viele, viele Pferde.«
»Ah, ich hatte mich schon gefragt, wie und wann die Pferde ins Spiel gekommen sind.«
»Durch Maggie. Ihr Mann war Züchter gewesen, und seine Tiere waren in der Gegend ziemlich berühmt. Na ja, jedenfalls kamen Mama und ich mit unserem vollgepackten Kombi dort an. Mama stellte mich Maggie vor und wollte gerade die Treppe in den Keller hinuntergehen, als ich ausgerastet bin.«
»Das kann ich mir vorstellen.«
»Ich bin immer noch sehr ungern unter der Erde. Mama versuchte mich zu beruhigen, und Maggie starrte mich nur an. Nicht entsetzt, sondern eher abschätzend. Ich hatte jedenfalls einen größeren hysterischen Anfall, und das ohne ein Wort zu sagen oder auch nur einen Laut von mir zu geben. Mama bekam Panik und schimpfte, dass man uns gleich wieder rauswerfen würde, aber da griff Maggie ein. Sie sagte, niemand würde uns rauswerfen und ich brauchte die Treppe nicht runterzugehen. Sie gab mir ein Zimmer, in dem alles auf ein typisches Pferdemädchen abgestimmt war. Maggie war Sozialarbeiterin, und sie und ihr Mann hatten früher Pflegekinder aufgenommen. Ihr Haus war schon immer voller Kinder gewesen, doch nun war es leer, weil ihr Mann gestorben war und sie sich nicht hatte überwinden können, ein neues Kind zu sich zu nehmen.«
»Bis du und deine Mutter kamt.«
»Ja. Sie hatte beschlossen, dass die Zeit der Trauer vorbei sein musste. Sie war unglaublich geduldig mit mir und kümmerte sich um mich, so dass meine Mutter wieder arbeiten gehen konnte. Wenn eine Frau verlassen wird, steht es finanziell oft schlimmer, als wenn ihr Partner gestorben wäre. Wir waren jedenfalls so gut wie mittellos.«
»Wäre er gestorben, hätte er euch wenigstens seine Pension hinterlassen.«
»Genau. Nach einigen Wochen wagte ich mich eines Tages in den Stall. Und traf auf Lulu. Das Pferd – und Maggie – waren meine Rettung. Zuerst war ich nur wie ein kleiner Geist, der überall erschien und zusah. Eines Tages drückte mir Maggie eine Bürste in die Hand. Ich begann, das Pferd zu striegeln, und fühlte mich plötzlich wieder geerdet. Ich gehörte wieder zu dieser Welt. Und wann immer ich einen Alptraum hatte oder eine Panikattacke bekam, trug Maggie mich in den Stall und gab mir die Bürste. Es ist ein Wunder, dass Lulu bei all der Striegelei nicht kahl wurde. Aber ich striegelte und putzte sie, und bald durfte ich sie auch reiten. Später flüsterte ich ihr meine Geheimnisse ins Ohr. Der Wind in meinem Gesicht, die Freiheit, gehen zu können, wohin ich wollte, mich um das Tier kümmern zu müssen … all das sorgte dafür, dass ich langsam, aber sicher wieder zu mir fand.« Sie seufzte tief. »Und als
Weitere Kostenlose Bücher