Todeskind: Thriller (German Edition)
Maggie und ich uns eines Tages allein mit den Pferden im Stall befanden, platzte alles aus mir heraus. Das war das erste Mal, dass ich Maggie habe weinen sehen. Ich hatte entsetzliche Angst, nachdem ich es ihr erzählt hatte. Ich wollte doch nicht, dass Mama davon erfuhr. Mama war für mich eingetreten und hatte meinetwegen die Familie verloren. Mein Vater war meinetwegen gegangen.«
»Bitte sag mir, dass du inzwischen weißt, dass es nicht deinetwegen so gekommen ist.«
»Mein Verstand weiß das, mein Herz nicht. Außerdem fürchtete ich, meine Mutter würde Beckett umbringen, wenn ich ihr den Namen verraten hätte.«
»Das kann ich mir vorstellen.«
»Eine lange Zeit wurde ich zu Hause unterrichtet, denn selbst als ich wieder zu sprechen angefangen hatte, konnte ich noch lange keine normale Schule besuchen. Jahrelang durfte mich außer Mama und Maggie niemand anfassen. Und wenn ich irgendwo den Satz ›Hast du mich vermisst?‹ hörte, war ich tagelang nicht zu gebrauchen, und Lulu bekam ein Pflegeprogramm wie kein zweites Pferd auf dieser Welt. Und wann immer Beckett mir auflauerte und seinen Spruch loswurde, wurde ich praktisch wieder auf Start zurückgeworfen.«
»Ein Wunder, dass du keinen Nervenzusammenbruch bekommen hast.«
»Ich hatte einen. Beckett ließ sich zum ersten Mal blicken, als ich endlich wieder regulär in die Schule gehen durfte. Ich war elf. Am ersten Tag wollte ich gerade in den Bus einsteigen, als jemand gegen mich stieß und ich meine Bücher fallen ließ. Ich bückte mich, um sie wieder aufzusammeln, und ein Mann hielt an, um mir zu helfen. Ich schaute auf, um mich zu bedanken, und da war er.«
»Mein Gott.«
»Ja. Er fragte: ›Hast du mich vermisst?‹, und fügte hinzu: ›Du siehst lecker aus. Fast gar.‹ Er versuchte mich zu packen, und dann weiß ich nichts mehr, bis ich im Krankenhaus erwachte. Ich war wohl laut schreiend weggerannt und vor lauter Panik gestürzt, wobei ich mir den Kopf anschlug und fast unter den Bus geraten wäre. Und so landete ich dann im Krankenhaus.«
Josephs Miene war finster. »Er muss sterben, Daphne.«
»Ich weiß. Aber deswegen erzähle ich dir das nicht. Das sind Dinge, die herauskommen werden, wenn ich wütenden, trauernden Eltern erklären muss, warum ich ihn nicht früher angezeigt habe. Wieso ich sieben Jahre gewartet habe, um mich ans FBI zu wenden.«
»Und dort hat man dir mitgeteilt, dass Beckett tot ist.«
»Die Auskunft stammte vom Bezirksarchiv. Glaubst du, Beckett hat seinen Tod fingiert?«
»Das ist die logischste Erklärung. Nach Leuten, die offiziell gestorben sind, sucht man nicht. Er hätte seine Ruhe gehabt und ungestraft weitermorden können.«
»Ich würde gerne den Autopsiebericht sehen. Es wäre sicher interessant zu erfahren, woher die Leiche stammte. Ob Beckett zufällig darauf gestoßen ist oder selbst für eine gesorgt hat. Schließlich braucht man einen Toten, um den Gerichtsmediziner dazu zu bringen, seine Unterschrift auf den Schein zu setzen.«
»McManus wollte gleich morgen früh im Bezirksarchiv nachfragen, aber vielleicht können wir ja eine Kopie des Totenscheins online einsehen.«
»Jetzt sofort?«
»Klar. Dann schwirrt uns wenigstens eine Frage weniger durch den Kopf.«
Wheeling, West Virginia
Mittwoch, 4. Dezember, 23.45 Uhr
»Hey, Junge. Ford. Alles in Ordnung?«
Nein. Nichts ist in Ordnung. Ford blickte an die Decke. Er fühlte sich innerlich taub. Als er aufgewacht war und das Gesicht seiner Mutter gesehen hatte … Da dachte ich noch, jetzt ist alles wieder gut. Seine größte Sorge hatte ihr gegolten. Schließlich durfte sie nicht wieder krank werden!
Als er zum zweiten Mal die Augen geöffnet hatte, hatte er … nichts gesehen. Weil das verdammte Kissen auf meinem Gesicht war.
Er hatte seine Mutter gehört. Ihren Kriegsschrei. Wäre er Beckett gewesen, hätte er die Beine in die Hand genommen. Jetzt kenne ich seinen Namen. Weil meine Mutter ihn mir gesagt hat. Weil sie ihn immer schon gekannt hat.
Sie hatte den alten Scheißkerl von ihm gezerrt, als sei er ein kleiner Schuljunge von vierzig Kilo.
Lass dich bloß nicht mit meiner Mutter ein, hatte er mit einem Hauch Stolz gedacht. Sie verteidigt mich wie eine Löwin. Und dann: Nein. Ich will nicht stolz auf sie sein. Ich will wütend auf sie sein. Was sie über Kim gesagt hat, kann nicht stimmen. Das kann einfach nicht wahr sein.
Sie hat mich nicht in die Falle gelockt. Sie hat nicht einfach nur so getan, als wolle sie mit mir
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