Todesküste
Einrichtungsgegenstände. Über
dem Bett war die Reichskriegsflagge an die Wand gepinnt.
Neben dem Kleinkalibergewehr und zwei Schachteln
Munition fand Lüder noch Klapp- und Butterflymesser, zwei Schlagringe, einen
Totschläger, Tränengas, Pfefferspray und zwei Übungshandgranaten der
Bundeswehr.
Im windschiefen Bücherregal lagen zwei Bildbände aus
dem Zweiten Weltkrieg, die vorwärtsstürmende Soldaten zeigten. Auffällig war,
dass der Text des einen Buches in Englisch abgefasst war. Lüder wäre erstaunt
gewesen, wenn Merseburger es hätte lesen können. Wahllos übereinander fanden
sich ein paar Illustrierte, die auf den Titelblättern Artikel über die rechte
Szene versprachen. Der Katalog eines einschlägigen Versandhauses
vervollständigte das Lesematerial. Nahezu erwartungsgemäß gab es keine weiteren
Bücher in diesem Haus, auch keine Zeitungen oder gedruckten Programme von
Parteien und Gruppierungen, die dieses politische Spektrum abdeckten. Und ob
Merseburger den Inhalt der Botschaften verstand, die in den Songs transportiert
wurden, die auf den vielleicht zwanzig Compact Discs gepresst waren, durfte
auch bezweifelt werden.
Die wenige Kleidung im Haus war nicht nur ungepflegt,
sondern entsprach auch der Stilrichtung, die dort getragen wurde, wo
Merseburger sich gern gesehen hätte.
»Lass die Finger davon«, schrie der Mann und wollte
aufspringen, wurde von Große Jäger aber unsanft wieder auf den Boden gedrückt,
als Lüder die Brieftasche und das Portemonnaie untersuchte. Ein wenig Bargeld,
Führerschein, Personalausweis und eine zusammengefaltete Aufforderung, sich
beim Sozialamt in Meldorf zu melden, war alles, was Lüder fand.
»Wer hat Sie beauftragt, das Haus in Husum zu
beschädigen?«, fragte Lüder.
»Nix hab ich beschädigt.«
»Hör mal zu, du Schmutzfink. Wer solchen Dreck an
Hauswände sprüht, begeht Sachbeschädigung«, erklärte Große Jäger geduldig,
obwohl er sicher ebenso wie Lüder wusste, dass solche Schmierereien fast nie
als Sachbeschädigung geahndet wurden. »Wer hat dich beauftragt?«
»Wo? In Husum? Was soll ich in Husum?«
»Du hast dich so dämlich angestellt, dass dich ein
halbes Dutzend Zeugen gesehen hat. Und deine Dreckschleuder da draußen fällt
auch jedem auf.«
»Na und?« Merseburger versuchte, trotzig zu wirken.
Große Jäger kratzte sich den Bart. »Ich weiß nicht so
recht«, sagte er mehr zu sich selbst. »Das gibt ganz schön Ärger. Bei deiner
Vorgeschichte. Und heute – Mordversuch an Polizeibeamten. Mannomann. Aber das
Schlimmste wird die U-Haft.«
Merseburger sah den Oberkommissar mit großen Augen an.
»Was soll das heißen? Ich habe doch einen festen Wohnsitz.«
»Dieser Stall hier? Außerdem …« Große Jäger machte
eine Wischbewegung mit der rechten Hand vor seiner Stirn. »Da ist ja niemand
mehr sicher. Morgen ballerst du auf den Briefträger oder hetzt deinen Köter auf
den Tankwart. Nee, mein Freund. Dich buchten wir ein.« Er rieb sich feixend die
Hände. »Du wirst von mir persönlich nach Neumünster gebracht.«
Merseburger musterte den Oberkommissar aus schmalen
Augen.
»Der Knast ist eine Spezialität in Schleswig-Holstein.
Da gibt es überproportional viele Ausländer, die dort einsitzen. Was meinst du,
wie die sich freuen, wenn die erfahren, was für ein Gesinnungsgenosse dort
einzieht.«
»Das lässt der Führer nie zu«, beeilte sich
Merseburger zu versichern.
»Welcher Führer?«, mischte sich Lüder ein. Er war
ebenso hellhörig geworden wie Große Jäger.
»Der Abschnittführer«, erklärte Merseburger fast
treuherzig und merkte nicht, wie er zu plaudern begann.
»Dein Chef?« Große Jäger zwinkerte dem Mann jovial zu.
Der nickte eifrig. »Der ist für die Organisation und
so zuständig.«
»Was heißt und so ?«
»Na, für alles eben. Glaubt ihr, der erzählt mich alles?«
» Mir !«, korrigierte Große Jäger, aber
Merseburger verstand es nicht. »Und dein Abschnittführer hat ordentlich was auf
der Pfanne? Man muss doch sicher ein kluges Kerlchen sein, um in eine solche
Leitungsposition zu kommen.«
»Der hat’s in der Birne.«
»Das glaube ich auch«, sagte Lüder, während sich Große
Jäger abwandte, damit Merseburger sein Grinsen nicht mitbekam. Dann beugte sich
der Oberkommissar hinab, schloss die Handschellen auf und fesselte die Hände
vor dem Körper neu. Er angelte zwei Zigaretten heraus und schob Merseburger
eine zwischen die Lippen.
»Spricht sich einfacher. Nur ‘nen Bier kann ich
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