Todesküste
Anbetracht dessen, dass der anonym im Husumer Kellerloch
untergeschlüpft war und sich auch sonst sehr verhalten in der Öffentlichkeit
gezeigt hatte, war ein zufälliges Aufeinandertreffen fast auszuschließen.
Merseburger war gezielt auf den Aufenthaltsort des zweiten Mordopfers
aufmerksam gemacht worden.
Lüder erläuterte Große Jäger seine Gedanken.
»Hm«, knurrte der Oberkommissar. »Dann sollten wir ein
wenig mit dem Typen plaudern. Wie lange benötigen Sie von Kiel an die
Westküste?«
Lüder sah auf die Uhr. Es war bereits nach sechs Uhr.
»Jetzt haben Sie sich gefragt, ob es heute schon zu
spät ist«, hörte er Große Jäger durchs Telefon, als könnte ihn der Husumer
beobachten.
»Ich komme«, antwortete Lüder und verabredete sich mit
dem Oberkommissar vor der Meldorfer Polizeizentralstation. Anschließend rief er
zu Hause an.
»Das finde ich dumm.« Margit war ungehalten. »Wir
haben heute Grillfleisch besorgt, und die Kinder freuen sich auf das gemeinsame
Abendessen. Hast du mal zum Himmel gesehen? Es ist heute ein richtig schöner
Sommertag.«
»Stimmt, mein Schatz, aber leider habe ich noch einen
Einsatz.«
»Gefährlich?« Margits Stimme klang besorgt.
»Nein. Routine.«
»Warum habe ich mich nicht in einen Beamten aus der
Stadtverwaltung verguckt?«
»Sei doch froh, dass du dich überhaupt in einen
Beamten verknallt hast.«
»Pass auf dich auf. Und melde dich. Vielleicht reicht
es ja noch für ein Glas Wein auf der Terrasse«, sagte sie.
Margits mahnende Worte gingen ihm noch im Kopf herum,
als er zum zweiten Mal an diesem Tag das Land durchquerte. Auf der Autobahn
schwamm er in der Menge der Leute mit, die von ihrer Arbeitsstätte in der
Landeshauptstadt dem Feierabend im oder am Rande des Naturparks Westensee
entgegenstrebten. Am Rendsburger Kreuz überquerte er die A7, die aus dem Süden
Deutschlands bis zur Nordspitze Dänemarks bei Skagen führte, wenngleich sie im
Königreich eine andere Bezeichnung trug. Den Kanal unterquerte er durch den
Rendsburger Tunnel, der vor dem Bau der Autobahnhochbrücke einen Großteil des
Nord-Süd-Verkehrs aufnehmen musste. Die Bundesstraße Richtung Heide war nur
mäßig frequentiert, und bei Wrohm bog Lüder auf eine untergeordnete Straße ab,
um über den nur noch von den Bewohnern der Region genutzten Weg bald darauf den
Parkplatz vor der Meldorfer Polizei anzusteuern. Im Schatten des Domes stand
ein Smart, aus dessen geöffneter Tür Hip-Hop-Musik drang. Große Jäger hatte die
Füße außerhalb des Wagens baumeln und qualmte an seiner Zigarette.
Auf sein »Moin« zur Begrüßung hob der Oberkommissar
lässig die Hand mit dem Glimmstängel.
»Vielleicht sollten wir mit einem Wagen fahren«,
schlug Lüder vor.
Große Jäger wollte etwas erwidern, winkte dann aber
ab. Er drückte seine Kippe im Aschenbecher aus, umrundete seinen Wagen und
tauchte kurz darauf mit einem hochbeinigen Dackel hinter dem Fahrzeug auf.
»Was ist das?«, fragte Lüder.
»Ein Hund«, sagte der Oberkommissar grinsend. »Und um
allen Fragen, die üblicherweise gestellt werden, zuvorzukommen: Es ist eine
Dachsbracke. Das ist ein reinrassiger Schweißhund. Er gehört mir, und ich kann
ihn abends nicht allein lassen, weil seine Tagesmutter dann keine Zeit mehr
hat.«
Lüder musterte das Tier. »Tritt der Hund bei
Wettbewerben auf?«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Bei den langen Beinen dachte ich, es wäre eine Hündin
und sie würde bei Schönheitswettbewerben mitkonkurrieren. Wie heißt er?«
»Blödmann.«
Lüder unterdrückte eine weitere Bemerkung, während
Große Jäger auf dem Beifahrersitz Platz nahm und sich der Hund vor seinen Füßen
zusammenrollte.
Während der kurzen Fahrt nach Wichelwisch verbreitete
sich im Auto ein unangenehmer Geruch, der auf gravierende Verdauungsstörungen
schließen ließ. Instinktiv warf Lüder seinem Beifahrer einen bösen Blick zu.
Der Oberkommissar wies mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf das Tier vor
seinen Füßen. »Jetzt wissen Sie auch, weshalb er Blödmann heißt.«
Als sie den Bauernhof erreichten, stand der schmutzige
Opel Kadett vor der Tür. Lüder hielt außerhalb der Reichweite des struppigen
Schäferhundes.
»Ich würde Ihren Hund im Auto lassen«, riet Lüder dem
Oberkommissar, der sein Tier an die Leine genommen hatte. Blödmann kläffte
genauso wütend wie der Hofhund, der mit fletschenden Zähnen an seiner Kette
zerrte.
»Wie kommen wir jetzt ans Haus?«, fragte Große Jäger
und zeigte auf eines der
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