Todesküste
Tiefpunkt seiner bisherigen
Laufbahn bei der Polizei. Und die Beamten, die sich mit Kinderpornografie auseinandersetzen
mussten, hatten täglich mit einem solchen Schmutz zu tun. Lüder verstand nicht,
wie man das ohne bleibenden Schaden für die eigene Seele überstehen konnte.
Ganz langsam kehrte seine Denkfähigkeit zurück. Wer
auch immer hinter diesem Machwerk stand, war kein perverser Pädophiler, sondern
jemand, dem es daran gelegen war, dass Lüder seine Ermittlungen nicht
fortsetzte.
Lüder griff spontan zum Telefon. Die Kollegen der
Kriminaltechnik würden sicher in der Lage sein, die Spur der Mail zurückzuverfolgen.
Es musste möglich sein, den Urheber ausfindig zu machen. Doch bevor er auf der
Tastatur wählte, verwarf er seinen Gedanken wieder. Die Urheber waren mit
Sicherheit nicht so dumm, dass sie eine rekonstruierbare Spur im Internet
hinterließen. Und er fühlte sich in diesem Fall nicht nur als Polizeibeamter
betroffen, sondern auch als Vater. Plötzlich wollte er nicht mehr, dass jemand
seinen Sohn in diesem Zustand sah. Und genau das hatten die Unbekannten
bezweckt. Sie hatten ihn mit der schmutzigsten nur vorstellbaren Methode in die
Enge getrieben. In diesem Moment öffnete sich die Tür.
»Moin, Town-Marshall«, begrüßte ihn Friedjofs
fröhliche Stimme.
Lüder sah auf. »Hallo, Friedjof«, sagte er mit müder
Stimme.
Der Bürobote sah ihn fragend an. »Ist was nicht in
Ordnung?«, fragte er und kam näher.
Lüder schüttelte langsam den Kopf. »Alles okay,
Friedjof, nur manchmal …« Er stand auf, nahm den Büroboten kurz in den Arm und
klopfte ihm auf die Schulter. »Ein anderes Mal, ja?«
Stumm verließ Friedjof das Büro.
Lüder trommelte nervös mit seinen Fingerspitzen auf
der Schreibtischplatte. Sollte er zu Hause anrufen und fragen, ob es den
Kindern gut ging? Jonas war zur Schule, und eine solche Aktion würde Margit
hellhörig werden lassen. Es war niemandem damit gedient, wenn seine Sorge auf
die Familie abstrahlte. In den letzten Tagen hatten die Seinen mehr als genug
unter Lüders Beruf gelitten. Schließlich suchte er Nathusius auf.
Der Kriminaldirektor hörte sich Lüders Bericht an.
»Das kann kaum noch überboten werden«, sagte Nathusius. »Wenn Sie möchten,
entbinde ich Sie von diesem Fall. Ich hätte volles Verständnis, wenn Ihnen das
Wohlergehen Ihrer Kinder mehr am Herzen liegt als die Verfolgung der
Straftäter.«
Einen kurzen Augenblick war Lüder geneigt, Nathusius’
Angebot anzunehmen. Doch dann setzte er sich gerade.
»Genau das wollen die Täter erreichen. Man glaubt, uns
beliebig manipulieren zu können. Aber das ist nicht das erste Mal. Denken Sie
an Staatsanwalt Kremer, den man erschossen hat, nur weil er unbeugsam und nicht
erpressbar war. Nein! Ich möchte weiter an diesem Fall arbeiten.«
»Und wie wollen Sie vorgehen – ohne Ihre Familie zu
gefährden?«
»Ich weiß es noch nicht«, sagte Lüder. Plötzlich
schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf. »Doch! Ich habe eine Idee. Ich werde mir
Unterstützung anfordern.«
Der Kriminaldirektor vermied es, nach Einzelheiten zu
fragen.
Als Lüder in sein Büro zurückkehrte, griff er zum
Telefon. Es dauerte eine Weile, bis am anderen Ende abgehoben wurde.
»Große Jäger, Kripo Husum.«
»Lüder Lüders. Ich brauche deine Hilfe.«
So als hätte er darauf gewartet, antwortete der
Husumer Oberkommissar spontan: »Ich komme. In zwei Stunden werde ich bei Ihnen
sein.«
Lüder versuchte, sich mit verschiedenen Dingen zu
beschäftigen, die auf seinem Schreibtisch lagen und auf Erledigung warteten. Er
legte die Vorgänge aber wieder zur Seite, als er bemerkte, dass er sich nicht
konzentrieren konnte. Als das Telefon klingelte, war er dankbar für die
Unterbrechung.
»Behrens«, meldete sich der Mitarbeiter der Kriminaltechnik.
»Es ging um eine unterdrückte Handynummer. Uns ist es gelungen, sie zu
identifizieren. Die Nummer stammt aus Polen.« Behrens stutzte. »Sagen Sie,
hatten wir vor Kurzem nicht schon einmal eine polnische Nummer für Sie
herausgesucht?«
»Ja«, sagte Lüder. »Haben Sie dieses Mal einen anderen
Anschluss?«
»Moment.« Es raschelte in der Leitung, als Behrens in
Papieren wühlte. »Da. Hier habe ich sie. Nee, das ist eine andere. Diese lautet
…«
Lüder notierte sich die Zahlenreihe. »Wissen Sie, um
was für einen Anschluss es sich hier handelt?«
»Wem der gehört?«, fragte Behrens zurück.
»Das nicht. Aber ist es ein Festnetzanschluss?«
»Nee, Handy.«
Lüder
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