Todesküste
ausgeht. Im Laufe des Vormittags
dürfte der richterliche Beschluss vorliegen, dass wir Merseburgers
Kreditinstitut um die Nachforschung nach Thomas Birry bitten können. Wenn der
Scheck Merseburger gutgeschrieben wurde, muss irgendein Konto damit belastet
worden sein. Weiterhin haben wir die Ermittlungen um Steffen Meiners
ausgedehnt. Die Kollegen befragen jetzt die Lehrer der Kinder, soweit sie erreichbar
sind. Wir horchen uns im Dorf und noch einmal am Arbeitsplatz um. Irgendwo muss
es doch eine Schwachstelle geben.«
»Und welche Verbindung zwischen den einzelnen Opfern
besteht, ist uns auch immer noch ein Rätsel«, bestätigte Lüder.
Bei der Ermittlung der Identität des jüngsten Opfers
war die Itzehoer Mordkommission aber noch nicht weitergekommen. Derzeit waren
die Beamten unterwegs, um – wie angekündigt – andere Taxifahrer, Imbisspersonal
und Tankstellen zu befragen.
»Wir haben auch einen Aufruf in der örtlichen Presse
eingebracht«, schloss Schwälm seinen Bericht. »Ach – noch etwas. Die Kollegen
vom Zoll haben sich bedankt. Der Tipp mit dem Taxiunternehmer Speckmann war für
die Kontrolleure der Gruppe ›Schwarzarbeit‹ ein voller Erfolg.«
Nach dem Telefonat schaltete Lüder seinen Rechner ein.
Es dauerte ewig, bis der Computer auf Betriebstemperatur war. Nach dem
Anmeldeprozedere rief Lüder das Mailprogramm auf. Neben einer Reihe weiterer
Meldungen erregte eine Nachricht mit dem Kurzhinweis »Letzte Warnung« seine
besondere Aufmerksamkeit:
»Ich habe Sie gewarnt. Sie hatten Ihre Chance.
Jetzt müssen Sie sich anderen Problemen stellen. Aber es ist noch nicht zu
spät.«
Das war alles. Keine Anrede, keine Unterschrift.
Das wird ein erneuter Versuch des »Abschnittführers«
sein, dachte sich Lüder. Was bezweckt der Mann mit seinen Drohgebärden? Ihm
müsste eigentlich klar sein, dass Lüder sich durch solche Aktionen nicht
beeinflussen ließ.
Er bewegte den Mauszeiger auf die Anlage, drückte
zweimal auf die linke Maustaste und wartete, dass das Attachment geöffnet
wurde. Lüder musste noch ein weiteres Mal durch einen Mausklick bestätigen,
dass er wirklich am Öffnen der Datei interessiert war. Dann spulte ein tonloser
Film ab.
Zu Lüders grenzenlosem Erstaunen tauchte der Kopf von
Jonas auf. Das Kind lachte und zeigte die für den kindlichen Kiefer noch viel
zu großen Vorderzähne. Langsam fuhr die Kamera zurück. Zunächst tauchte der
Hals auf, dann der nackte Oberkörper. Je weiter die Kamera den Zoom zurücknahm,
umso angespannter wurde Lüder. Jonas war in dieser Darstellung völlig
unbekleidet. Das blieb auch so, als das ganze Kind den kompletten Bildschirm
ausfüllte.
Lüder konnte ein wütendes Zittern seiner Hände nicht
unterdrücken. Mit maßlosem Entsetzen sah er seinen nackten Sohn. Plötzlich
wurde ihm bewusst, dass vor seinen Augen eine professionelle Bildmontage
ablief. Beim ersten oberflächlichen Betrachten der Bilder war Lüder so
geschockt gewesen, dass ihm entgangen war, in welchem Zustand sich das Kind auf
seinem Rechner befand. Es war – über den ganzen zarten Jungenkörper verteilt –
mit blauen Flecken und Striemen übersät. Das Kind, das für diese widerwärtige
Darstellung missbraucht worden war, hatte man zuvor geschlagen. Der Moment der
Erleichterung, dass es sich nicht um Jonas handelte, war allerdings nur von
kurzer Dauer und wich unbändigem Zorn. Jemand hatte dieses Kind körperlich arg
zugerichtet. Für einen kurzen Augenblick dachte Lüder, dass es vielleicht doch
Jonas sein könnte. Doch dann registrierte er, dass Mimik und Bewegung des
Kopfes nicht zum Rest passten. So wie Jonas sich in diesem Film gab, verhielt
sich kein geschundenes Kind.
Lüder spürte, wie ihm das Herz bis zum Hals schlug.
Sein Puls raste. Der Schweiß lief ihm in Bächen von der Stirn und den Schläfen
zum Hemdkragen hinab. Der Scrollbalken unterhalb der Darstellung zeigte ihm,
dass etwa die Hälfte des Films abgelaufen war. Jetzt tauchte vor dem
Kameraausschnitt ein stark behaarter Männerarm auf und griff an die Genitalien
des Kindes. Der Unterleib zuckte automatisch ein Stück zurück, worauf die Hand
ausholte und das Kind kurz und heftig auf das nackte Fleisch schlug. Jetzt ließ
der Junge im Film es zu, dass die Hand unzüchtige Berührungen vollführte. Die
Kamera verweilte noch einen kurzen Moment in dieser ekelhaften Schlussszene,
bis der Film abbrach.
Lüder starrte minutenlang auf den stummen Bildschirm.
Er war zu keiner Reaktion fähig. Das war der
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