Todesküste
im letzten
Eingang des quer zur Straße stehenden Blocks.
An der Wohnungstür wurden sie von Markus Schwälm
empfangen, nachdem die beiden Polizisten zuvor im Treppenhaus ein
Spießrutenlaufen durch das Spalier neugieriger Nachbarn zu absolvieren hatten.
»Die Spurensicherung ist noch nicht ganz durch. Aber
das Wohnzimmer ist frei«, sagte der Itzehoer Hauptkommissar. »Zwei Zimmer. Auf
den ersten Blick nichts Bemerkenswertes.«
Schwälm führte sie in den Raum, den man nur mit sehr
viel Fantasie als Wohnraum bezeichnen konnte. Ein Tisch, der kombiniert als
Ess- und Arbeitsplatz genutzt wurde, dazu zwei Stühle, die aber nicht
zueinander passten, ein Wandregal und in der Ecke ein Sessel, der auch ein
Solistendasein fristete. Stehlampe, Fernseher und ein älteres Kofferradio
vervollständigten die Einrichtung. Es war auch kein Merkmal der Behaglichkeit,
dass alle Einrichtungsgegenstände auf dem Laminatfußboden standen, da weder ein
Teppich noch Pflanzen den Raum zierten. Genauso auffällig waren die kahlen
Wände. Nirgendwo war ein Bild zu sehen.
Große Jäger sah sich um. »Das ist das richtige
Ambiente, um ein Eremitendasein zu fristen. Wenn meine Wohnung so aussehen
würde, hätte ich wahrscheinlich auch den Schwarzarbeitsjob als Taxifahrer
angenommen.«
»Und dabei sogar in Kauf genommen, dass man mit den
Fahrgästen nur Japanisch sprechen kann«, sagte Lüder.
»Das trifft nicht zu«, korrigierte Schwälm und zeigte
auf einen Stapel Unterlagen, die auf dem Tisch ausgebreitet waren. »Das haben
wir gefunden.«
Der Hauptkommissar hatte sich Handschuhe übergestülpt
und präsentierte die erste Ausbeute der Spurensuche.
»Ein Foto.«
Auf dem Farbbild erkannte Lüder das Opfer wieder,
umringt von einem älteren Paar, einer jungen Frau und einem fröhlich
dreinblickenden Teenager.
Großer Jäger sah Lüder über die Schulter. »Könnte die
Familie sein. Eltern? Ehefrau? Oder Geschwister? Die Asiaten sehen alle gleich
aus. Da kann man nicht von verwandtschaftlicher Ähnlichkeit sprechen.«
Lüder betrachtete das Bild lange und eingehend. Es war
in einem Vergnügungspark aufgenommen. Man sah zwar keine Fahrgeschäfte, aber im
Hintergrund tummelten sich jede Menge Menschen mit Popcorn und bunten
Luftballons. Das Auffälligste aber war die Kleidung des Opfers. In seiner
weißen Paradeuniform wirkte es wie ein Operettenleutnant.
»Ein Soldat«, stellte Lüder fest. »Nun müsste man nur
wissen, von welcher Armee.«
»Ich vermute die US -Army«,
mischte sich Schwälm ein und ließ seinen Zeigefinger über das Bild schweben.
»Zum einen sieht man im Hintergrund jede Menge Weißer und auch ein paar
Schwarze. Wäre das Bild in Japan aufgenommen, müssten dort mehr Asiaten
herumlaufen. Und hier«, der Hauptkommissar wies auf den Ärmel des Opfers, »das
könnte das Dienstgradabzeichen eines Second Lieutenant sein.«
»Donnerwetter«, staunte Große Jäger. »Was Sie alles
wissen.«
Schwälm zeigte ein jungenhaftes Lachen. »Das hätten
Sie auch gewusst, wenn Sie zuvor den Dienstausweis gefunden hätten – so wie
wir.« Er hielt Lüder und dem Oberkommissar das nächste Dokument vor die Augen.
»John Tahiro, zweiunddreißig Jahre alt.«
Lüder beugte sich über das Papier. »Das überrascht
mich nicht mehr. Der Mann hat auch bei der 173. Luftlandebrigade gedient. Wie
unser Husumer Mordopfer Jethro Jackson. Da macht jemand Jagd auf die Soldaten
dieser Einheit.«
Große Jäger kratzte sich das unrasierte Kinn. »Weiß
jemand, wie viele Soldaten zu einer US -Brigade
gehören? Dann könnten wir uns darauf einstellen, mit welcher Anzahl von
Mordfällen wir noch zu rechnen haben.«
»Es muss ja nicht die gesamte Brigade in
Schleswig-Holstein untergetaucht sein«, warf Lüder ein.
»Nur die, die an irgendwelchen fragwürdigen Vorkommnissen
beteiligt waren?«, fragte Große Jäger und erwartete keine Antwort.
Schwälm hüstelte leicht. »Tahiro muss ein gebildeter
Mann gewesen sein. Wir haben zwei Bücher in Deutsch und ein aufgeschlagenes
Wörterbuch Englisch-Deutsch gefunden. Es sieht so aus, als hätte der Mann
versucht, im Selbststudium unsere Sprache zu lernen. Außerdem gibt es noch
dieses Bild.« Schwälm kramte eine weitere Fotografie hervor. Darauf war eine
ordentlich ausgerichtete Gruppe junger Männer zusehen, die alle in der gleichen
weißen Uniform gekleidet waren, die Tahiro auch auf dem Familienfoto trug.
»Es sieht so aus, als wäre das auf einer
Militärakademie aufgenommen«, überlegte
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