Todeslauf: Thriller (German Edition)
die sie so nicht wollte.
Doch wenn ich Mila freie Bahn ließ, war das vielleicht der schnellste Weg zu meinem Kind.
Mein Kind. Ich wollte nicht über das nachdenken, was Mila gesagt hat. Natürlich hatte ich keine Gewissheit, aber es war immerhin möglich, dass mein Kind irgendwo da draußen war, allein und verloren auf der Welt, oder noch schlimmer, dass es von einer Frau wie Lucy Capra aufgezogen wurde. Lucy und Mila würden beide nicht zögern, mein Kind für ihre Ziele zu benutzen; ich würde sie in dem Glauben lassen, dass sie damit etwas erreichen konnten – vielleicht konnte ich die beiden auch gegeneinander ausspielen. Was ist das für eine Welt, in der Kinder als Waffen eingesetzt werden?
Ich lenkte den Jaguar in eine Parkgarage. Wir waren da.
79
St. Pancras ist einer der Hauptbahnhöfe von London. Er wurde in den vergangenen Jahren für viel Geld renoviert und verschönert; vor den alten Ziegelwänden wölben sich massive himmelblaue Eisenbögen, und das Glasdach verleiht der Bahnhofshalle etwas Weites, Offenes. In den Gängen gibt es luxuriöse Geschäfte und Restaurants. Ein Schild verkündet, dass sich hier die längste Champagnerbar Europas befindet. Tausende Pendler und Reisende gingen ein und aus, doch ich schritt allein durch St. Pancras.
Mila blieb mit ihrem Netbook im Auto; ich hatte ein Mikrofon im Ohr. Sie hatte sich in das Sicherheitssystem des Bahnhofs gehackt und suchte Bahjat Zaid auf den Bildern, die die Kameras lieferten. Wir gingen ein hohes Risiko ein; wenn jemand unser Eindringen ins System bemerkte, würde vielleicht das Wachpersonal die Sache überprüfen. Die Sicherheitsvorkehrungen an so einem wichtigen Bahnhof waren natürlich enorm, wenn auch nicht auffällig.
»Ich hab ihn«, meldete Mila. »Er wartet oben in der Champagnerbar.«
»Ist er allein?«
»Ja.«
»Siehst du irgendjemanden, der ihn beobachtet?«
»Nein.«
Ich ging die Treppe zu der beeindruckend langen Champagnerbar hinauf; sie war voll mit schick gestylten Leuten und ein paar müde aussehenden Reisenden. Die Bar schien an die hundert Meter lang zu sein. Es gab Abschnitte für Einzelreisende und andere mit Tischen für vier Personen. Die einzige Wand war aus Glas und Stahl, und dahinter befanden sich die Bahnsteige, wo die Eurostar-Züge vom Kontinent ankamen und abfuhren.
Zaid saß allein in seinem Armani-Anzug und seinen blank polierten Schuhen, und er sah so gebeugt und geschwächt aus, als litte er an einer schweren Krankheit. Die Selbstsicherheit, die er bei unserem Treffen ausgestrahlt hatte, war verschwunden. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, und neben seinen Beinen hatte er eine Aktentasche stehen. Ganz nah. Ich setzte mich links von ihm an einen Abschnitt der Bar, wo er mich nicht so leicht sehen konnte und wo ständig schick gekleidete Kellner vorbeigingen, um die gefüllten Champagnerflöten zu den Tischen zu bringen. Ich hoffte, dass er mich mit meiner Sonnenbrille und der dunklen Kappe nicht wiedererkennen würde. Ich bestellte den billigsten Champagner auf der Karte, doch ich rührte mein Glas nicht an.
Zaid blickte sich nervös in der Menge um. Er reckte den Hals, wenn neue Gruppen beim Eurostar auftauchten. Die Leute kamen und gingen in Scharen. Links von mir wurden ein paar Gäste etwas lauter, nachdem sie sich mit einer Magnumflasche Champagner angeheitert hatten. Zaid blickte zu ihnen hinüber. Ich drehte mich zur Seite. Er durfte mein Gesicht auf keinen Fall sehen.
»Hast du ihn noch?«, fragte ich in mein Mikro.
»Ja«, hörte ich Mila in meinem Ohr.
»Er ist nervös und sieht sich ständig um. Das macht es ein bisschen schwierig, unerkannt zu bleiben.«
»Meinst du nicht, du solltest einfach zu ihm hingehen und mit ihm sprechen?«
»Nicht wenn er Yasmin zurückbekommt. Edward könnte mich sehen.«
»Hast du Angst vor Edward?«
»Er könnte Yasmin töten, sobald er mich sieht«, antwortete ich.
Mila sagte nichts, doch ich stellte mir vor, dass sie höhnisch lächelte.
Ich spürte, wie mir jemand auf die Schulter tippte. Ich drehte mich um. Bahjat Zaid sah aus, als könnte er gerade noch zu seinem Totenbett wanken – schwitzend, blass, sein zornig verzogener Mund zitternd.
»Verschwinden Sie, verdammt«, sagte er. »Sie müssen gehen. Sofort.«
»Bringt Edward Yasmin hierher?«
»Ich befehle Ihnen zu gehen«, zischte er.
»Ich weiß, dass Sie Edward Waffen beschafft haben, damit er die Videos von Yasmins Verbrechen nicht veröffentlicht. Tauschen Sie jetzt Ihre
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