Todeslauf: Thriller (German Edition)
können, ob sie männlich oder weiblich war. Die meisten Gäste waren draußen im Hof und hörten der fetzigen Band zu. Ich stellte den Pick-up auf dem Privatparkplatz hinter der Bar ab und ging zum Hintereingang, trug Yasmins Leiche über der Schulter. Mit dem Code, den mir Mila gegeben hatte, öffnete ich die Tür. Niemand sah mich. Lucy war immer noch in dem fensterlosen Raum eingeschlossen. Ich ließ sie dort; hätte ich sie jetzt angesehen, dann hätte ich sie vielleicht umgebracht. Ich musste mich auf meine Aufgabe konzentrieren. Ich schloss die Tür hinter mir ab, spürte aber immer noch das Wummern der Musik, obwohl das Zimmer mit Schallschutz ausgestattet war.
In einem Schrank fand ich eine komplette Erste-Hilfe-Ausrüstung, so wie in Amsterdam. Ich nahm mir ein Skalpell und breitete eine Plastikfolie auf dem Boden aus, dann schnitt ich vorsichtig in Yasmins Wunden. Zum einen betrachtete ich Yasmin als die wohlbehütete Tochter, zum anderen aber auch als den Menschen ohne eigenen Willen und Persönlichkeit, zu dem sie geworden war.
Ich fand eine der Kugeln und zog sie vorsichtig heraus. Ich wischte sie sauber und legte sie auf den Tisch.
Die Kugel war ungewöhnlich lang und schmal. Beim Eintritt in den Körper war sie ein wenig verformt worden, doch das Gitter an der Spitze, das ich auch an der Waffe gesehen hatte, war deutlich zu erkennen. Ich sägte das Projektil auf; im Inneren befand sich ein komplexes Gefüge einer Technologie im Miniaturformat.
Ich fotografierte das zerlegte Geschoss und lud die Bilder auf den Computer auf dem Schreibtisch.
Dann nahm ich eines der Telefone vom Regal, vergewisserte mich, dass die Rufnummer nicht weitergeleitet wurde, und wählte einen Anschluss in New York City.
Es klingelte dreimal. »Howell.«
»Sam Capra hier.«
»Sam.«
»Ich habe meine Frau.«
»Sie haben was?«
»Ich habe meine Frau gefasst.«
Langes schockiertes Schweigen.
»Sie hatten recht, Howell. Sie hat mich hintergangen – mich und die Company. Ich habe den Beweis.«
»Moment, langsam.«
»Haben Sie die Zigarettenladung gefunden?«
»Nein. Die Zollbehörde in Rotterdam hat sie nicht weiterverfolgt.«
»Hören Sie. Lucy ist Teil dieser Novem-Soles-Gruppe, und diese Leute haben den Prototyp irgendeiner neuen Hightech-Waffe gestohlen. Ich möchte Ihnen Fotos von einer Kugel schicken. Lassen Sie sie analysieren.«
»Sam, Sie müssen herkommen. Sie müssen uns zeigen, was Sie gefunden haben.«
»Nein. Ich schicke Ihnen die Fotos. Ich glaube, dass sie es mit diesen Waffen auf Kinder abgesehen haben.«
»Kinder?«
»Ich habe eine Liste von fünfzig Leuten gefunden, die möglicherweise Ziele sind. Hauptsächlich Kinder, ein paar Männer und Frauen. Geben Sie mir eine E-Mail-Adresse, an die ich Ihnen die Fotos schicken kann.«
»Bringen Sie das Beweismaterial her. Sofort, Sam.« Und mit leiserer Stimme fügte Howell hinzu: »Wir können alles, was war, vergeben und vergessen, wenn Sie wirklich Lucy haben.«
Aber wenn ich ihm alles sagte, würde ich auch Mila preisgeben müssen – und dazu war ich nicht bereit.
»Ich brauche eine E-Mail-Adresse. Wir machen es nur so, nicht anders.«
Widerwillig nannte er mir eine Adresse. Ich legte auf, dann setzte ich mich an den Computer und ging mithilfe eines Anonymisierprogramms nacheinander zu verschiedenen Servern, bis ich auf einer Webseite für Promi-Klatsch landete, hinter der sich die Company verbarg. Ich benutzte einen Account, den ich als Peter Samson dort hatte, um die Fotos abzuschicken. In ein paar Stunden würde ich Howell wieder anrufen.
Ich zog trockene Kleider an, die ich in einem Schrank fand, dann schloss ich den schalldichten Raum auf. Lucy saß an die Wand gekettet am Boden.
Ich betrachtete sie, als wäre sie eine völlig Fremde.
92
Lucy drückte sich an die Wand. »Du siehst scheiße aus.«
»Edward hat da so eine irre Waffe. Man zielt damit auf jemanden, aber getroffen wird ein anderer. Was ist das für ein Ding?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wovon du redest.«
»Sie funktioniert mit einem Computerchip.«
»Ich weiß es nicht, Sam.«
»Er hat eine Liste von Kindern, die wahrscheinlich Ziele sind. Kinder, Lucy.«
»Ich weiß wirklich nichts davon.«
»Er hat gesagt, dass er unseren Sohn töten wird. Einfach nur, weil er’s kann.«
Ihre Lippen setzten schon zum nächsten Ich weiß nichts davon an, doch dann überlegte sie es sich anders und blieb stumm.
»Er hat behauptet, dass er unseren Sohn verkauft
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