Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
Zwischen 1945 und 1969 war er mit Sofia Erlandsson verheiratet; eine Ehe, aus der ein Kind hervorging: Mikael. Nach der Scheidung zog Sofia ins Ausland, während der zehnjährige Sohn bei seinem Vater wohnen blieb.«
Der Polizist machte eine Pause und wartete eventuelle Fragen ab. Dann fuhr er fort.
»Als Arne Erlandsson im vergangenen Herbst starb, erbte Mikael das Haus. Dieser hat bei der Vernehmung ausgesagt, dass er beabsichtigt, es zu renovieren, um es danach als Sommerhaus zu nutzen. Er hat mit den Drainagearbeiten bereits im November begonnen, musste sie jedoch unterbrechen, als es kalt wurde. Auf die Knochenteile stieß er durch einen Zufall, als er draußen beim Haus war und die Beschaffenheit des Bodens vor dem Arbeitsbeginn im Frühjahr kontrollieren wollte.«
So gern Ella auch sitzen geblieben wäre und zugehört hätte, konnte sie ihre Anwesenheit nicht länger rechtfertigen. Also stand sie widerwillig auf und verließ den Raum. Zurück an ihrem Schreibtisch stürmten die Fragen nur so auf sie ein. Handelte es sich bei der Person um den Mikael Erlandsson, der die Tischuhr verkauft hatte? Und warum befand sich die Uhr aus ihrer Kindheit in seinem Besitz? Wie konnte sie den Flammen entkommen sein? Und warum lag ein Mann auf dem Grundstück des Elternhauses von Mikael Erlandsson vergraben, und wer war dieser Mann? Sie fühlte sich rastlos und verspürte außerdem Muskelkater nach der heftigen Trainingseinheit vom Vortag.
Das Telefon klingelte und riss sie aus ihren Gedanken. Sie war gezwungen, die nächste halbe Stunde der Mutter eines Drogenabhängigen zu widmen, den sie ein paar Wochen zuvor obduziert hatte. Die Frau hatte den Eindruck, dass hinsichtlich des Todes ihres Sohnes etwas nicht stimmte, und wollte nun ihren Verdacht bestätigt wissen. Obwohl Ella versuchte, die Gedanken an das Skelett in Erlandssons Garten beiseitezuschieben, drängten sie sich während des gesamten Gesprächs immer wieder unbeirrbar auf.
Als Ella der Mutter erklärte, dass ihr Sohn sie wahrscheinlich angelogen hatte, indem er ihr versicherte, sich kein Heroin mehr zu spritzen, wies sie deutlich daraufhin, dass es sich dabei um einen Teil des Krankheitsbildes handelte und die Unehrlichkeit nicht als Charakterzug gewertet werden durfte. Ella war der Ansicht, dass die ersten Schritte in eine Abhängigkeit für gewöhnlich mehr oder weniger freiwillig gemacht wurden, aber langjähriger Missbrauch als Krankheit betrachtet werden musste. Ihr Sohn hatte sich irgendwann einmal entschieden, Drogen zu nehmen, aber nicht, seine Mutter anzulügen. Sein Verlangen nach Drogen wurde schließlich so stark, dass sich die Persönlichkeit, die er vor seiner Abhängigkeit hatte, mehr und mehr veränderte. Zurück blieb der Schatten eines Individuums, das vollends unter dem Einfluss seiner Abhängigkeit handelte und sich ihr vollkommen hingab. Als sie schließlich aufgelegt hatte, ohne den Verdacht der verzweifelten Mutter nennenswert ausräumen zu können, klopfte eine der Sekretärinnen an ihre Tür.
»Der Bruder eines Mannes, den Sie vor ein paar Wochen obduziert haben, hat gerade angerufen und nach Ihnen gefragt«, teilte sie ihr kurz und bündig mit. »Er will sich noch einmal melden«, fügte sie hinzu und drehte sich zum Gehen um.
»Welcher Fall war das?«, rief Ella ihr nach.
Die Sekretärin hielt inne und überlegte eine Weile. Doch schließlich war sie gezwungen, zu ihrem Computer zurückzugehen, um zu kontrollieren, welche Nummer der Fall hatte, und kam dann mit einem gelben Post-it-Zettel zurück. Ella gab die lange Zahlenfolge in ein Programm ein, in dem alle Obduktionen sowie zugehörige Proben und Unterlagen, die relevant für die Abteilung waren, aufgelistet wurden. Es handelte sich um den Fall John Westmark, Tod durch Erhängen. Sie erinnerte sich noch gut an ihn, obwohl bereits mehr als ein Monat vergangen war, seit sie ihn obduziert hatte. Es war der Jüngling mit der merkwürdigen Kleidung und den Totenflecken, deren Ausbreitung nicht ganz typisch für einen Tod durch Erhängen waren. Sie fragte sich wieder, warum sie nicht unmittelbar nach dem Feststellen der Anomalien zum Telefonhörer gegriffen und den mit dem Fall betrauten Polizisten angerufen hatte. Sie hegte an und für sich keinen direkten Verdacht, dass John ermordet worden war, aber so ganz ging ihr der Fall nicht aus dem Sinn. Manchmal konnte ein kurzes Telefonat Klarheit darüber schaffen, ob die Leiche beispielsweise kurz nach dem Ableben bewegt oder
Weitere Kostenlose Bücher