Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
ließen. Denn in Wahrheit waren Ella und Judit diejenigen, die die Tabletts trugen und das Geschirr sowie die Torten hereinbrachten. Estrid kochte Kaffee und stellte lediglich das lächerlich kleine Milchkännchen auf den Tisch. Danach hielt sie sich in der Küche auf, wo Ella ihr für gewöhnlich Gesellschaft leistete, sobald sich auch nur der geringste Anlass bot, die Damen im Salon allein zu lassen.
Als Ella um kurz nach neunzehn Uhr am Freitagabend die Wohnung betrat, waren Markus und Mattias mitten in den Vorbereitungen fürs Abendessen. Sie stellte ihre exquisiten Einkaufstüten im Flur ab und versuchte nicht an das kleine Vermögen zu denken, das sie gerade für Kleidung ausgegeben hatte. Es hatte ihr mehr Spaß gemacht als erwartet. Eine der Verkäuferinnen, die sie bedienten, hatte Ellas Selbstvertrauen weitaus mehr beflügelt als irgendjemand anderes in der letzten Zeit. Nachdem sie in der Umkleidekabine einen raschen Blick auf Ella geworfen hatte, hielt sie inne und betrachtete Ellas Körper eingehender.
»Wenn ich Ihre Beine hätte, würde ich sie unbedingt zeigen«, sagte sie, um daraufhin ihr strahlendstes Lächeln aufzusetzen und ihr ein weiteres Stück in die Kabine zu reichen.
Ella war unmittelbar rot geworden. Anfänglich hatte sie den Kommentar der Verkäuferin als Verkaufstrick abgetan und das neue Stück skeptisch betrachtet. Doch dann warf sie in der vorteilhaften Beleuchtung einen Blick auf ihre Beine – anscheinend waren sie doch gar nicht so dick, wie sie immer dachte. Die moosgrüne Strickjacke, die die Frau ihr in die Kabine gelegt hatte, zeigte viel Dekolleté und wurde mit einer groben Schärpe in der Taille gebunden. Sie probierte sie dennoch auf gut Glück an, und ihr gefiel, was sie im Spiegel sah. Schließlich war die Jacke zusammen mit einer großen Anzahl weiterer Kleidungsstücke, die allesamt ihre Figur betonten, in den Tüten gelandet, die nun auf dem Fußboden im Flur standen.
Mattias warf einen Blick aus der Küche in den Flur und musste lachen, als er die Tüten erblickte. Während Ella ihren Mantel auszog, holte er ihr ein Glas kalten Weißwein. Aus der Küche duftete es nach frischen Kräutern und Schalentieren. Ella blieb in der Tür stehen und betrachtete die beiden Brüder in der mit Dampf angefüllten Küche. Sie führte das Weinglas zum Mund und runzelte die Stirn. Würde Markus nach der Trennung wohl ganz aus ihrem Leben verschwinden? Der Gedanke traf sie wie ein Fausthieb in den Magen. Auch wenn sie Markus nicht länger als Lebenspartner haben wollte, konnte sie sich ein Leben ohne ihn, wenn auch nur als Freund, nicht vorstellen.
»Schmeckt er dir nicht?«, fragte Markus, während er ihre ernste Miene zu studieren schien. Sie schob den Gedanken beiseite und nahm einen weiteren großen Schluck Wein.
»Pinot gris«, sagte sie mit Nachdruck und lächelte schief.
Markus’ Gesichtszüge entspannten sich, und er schenkte ihr aus einer Flasche, die er aus dem Weinkühler hervorholte, nach.
»Wie schafft man es nur mit deinem Job, seinen Geruchs- und Geschmackssinn beizubehalten? Das geht über meinen Verstand«, meinte Mattias und schüttelte den Kopf.
»Sie hat ihn ja auch nicht behalten«, antwortete Markus. »Ihre anderen Sinne scheinen zwar ziemlich ausgeprägt zu sein, aber mit Wein kennt sie sich absolut nicht aus«, fuhr er mit einem Lächeln fort.
Mattias ließ seinen Blick misstrauisch über die Küche schweifen. Er zog einen Post-it-Zettel von der Kühlschranktür und betrachtete ihn näher. Ganz unten stand »Pinot Gris Altenbourg«. Von der Türöffnung aus, in der Ella stand, waren es fast vier Meter bis zum Kühlschrank, und die Schrift war so klein, dass sie sogar noch schwer zu entziffern war, wenn man den Zettel in der Hand hielt.
»Das ist nicht möglich«, sagte Mattias und ging mit dem Zettel auf sie zu.
»Du misstraust wohl meinem Gaumen«, erwiderte sie mit einem Lächeln.
Sie wusch sich die Hände und begann dann den Salat zu waschen. Ella wusste nicht viel mehr über Wein, als dass sie sagen konnte, ob er ihr schmeckte oder nicht, aber sie besaß ein unglaublich gutes Gedächtnis. Als sie sich kennenlernten, hatte Markus vergebens versucht, ihr etwas über die verschiedenen Weinsorten beizubringen. Um ihn nicht zu enttäuschen und auch um nicht als absolute Weindilletantin dazustehen, hatte sie versucht logisch zu ermitteln, welchen er ausschenken würde. Die Farbnuancen hatten ihr zwar ein wenig weitergeholfen, aber eine Weinkennerin
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