Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
vom Flur hereinkam, sich ebenfalls eine Tasse Kaffee einschenkte und nach einem Teil der umfangreichen Zeitung griff. Aus alter Gewohnheit ließ sie ihren Blick über die lokalen Mitteilungen gleiten, auf der Suche nach Gewaltverbrechen, deren Opfer möglicherweise in ihrer Abteilung landen würden. Ihr Blick blieb an einer kleinen Notiz über einen Hausbrand unmittelbar außerhalb der Stadt hängen. Das Haus war offenbar bis auf die Grundmauern niedergebrannt, und das ältere Ehepaar, das darin gewohnt hatte, wurde in seinem Bett im Obergeschoss tot aufgefunden. Man vermutete, dass der Brand in der Küche ausgebrochen war und sich von dort ausgebreitet hatte, was in den Wintermonaten häufig vorkam, in denen nicht selten brennende Kerzen vergessen wurden.
Ella verspürte in ihrer paranoiden Hirnhälfte eine gewisse Irritation darüber, dass man die Identität des älteren Ehepaars überhaupt nicht infrage stellte. Nachdem sie bereits unzählige verbrannte Leichen obduziert hatte, war sie sich im Klaren darüber, dass ein Hausbrand eine hervorragende Möglichkeit darstellte, um ein Verbrechen zu kaschieren. In vielen Fällen waren die Rechtsmediziner ganz auf den vorläufigen Bericht der Polizei angewiesen, dem die Anordnung einer Rechtsmedizinischen Obduktion beigefügt wurde. Wenn allerdings in einem Bericht nicht stand, was den Verdacht auf ein Verbrechen rechtfertigte, war es oft auch nicht möglich, andere Verletzungen an den stark verbrannten Leichen festzustellen. Im Fall des älteren Ehepaares aus der Zeitung würde sich höchstwahrscheinlich eine hohe Konzentration von Kohlenmonoxid nachweisen lassen, das an das Sauerstoff transportierende Hämoglobin in den roten Blutkörperchen gebunden war. Wenn das nicht der Fall sein sollte, hatten die beiden ganz einfach nicht mehr geatmet, während es im Haus brannte. Wenn die Toten allerdings stark verbrannt waren, würde man unmöglich eine chemische Analyse durchführen können.
Sie seufzte tief, woraufhin Mattias seinen Teil der Zeitung sinken ließ und sie fragend anschaute.
»Brauchst du eine Kopfschmerztablette?«, fragte er teilnahmsvoll.
Erstaunlicherweise schien ihm der Alkoholkonsum vom Vorabend überhaupt nichts auszumachen. Andererseits vertrug er aufgrund seines viel größeren Körperumfangs natürlich auch eine ganze Menge mehr als Ella. Dann fielen ihr plötzlich Markus’ Worte von gestern wieder ein. Der Schmerz in seiner Stimme. In gewisser Weise kam ihr das alles bereits wie eine Erinnerung aus einer vergangenen Zeit vor. Als gehöre es bereits der Vergangenheit an.
Mattias sah sie immer noch fragend an. Sie lächelte und schüttelte den Kopf. Eigentlich wusste sie, was sie bedrückte. Sie spürte zunehmend das Bedürfnis, Klarheit in die Ereignisse zu bringen, die auf ihren Kauf der antiken Tischuhr gefolgt waren.
Den restlichen Teil des Wochenendes verbrachte Ella damit, ihren Vortrag an der Polizeihochschule vorzubereiten, im Fitnessstudio zu trainieren und für ihren bevorstehenden Umzug zu packen. Außer den Möbeln in dem kleinen Arbeitszimmer wollte sie nur gewisse Küchenutensilien mitnehmen. Die meisten anderen Möbel aus ihrer gemeinsamen Wohnung würden nicht in ihr neues Heim passen, und sie hatten ihr sowieso nie besonders gut gefallen. Am Sonntag schaute sie sich im Internet nach geeigneten Möbeln um. Auf der Auktionsseite, auf der sie auch die Tischuhr gefunden hatte, wurden eine Menge antiker Möbelstücke angeboten. Ihr fiel eine Sofagruppe und ein Esstisch mit dazugehörigen Stühlen ins Auge, von denen sie annahm, dass sie gut in den großen Saal passen würden, doch sie gab kein Gebot ab. Sie wollte sich erst einen Überblick verschaffen, bevor sie zuschlug. Bei der Wohnung mochte es sich vielleicht um einen Impulskauf gehandelt haben, doch das bedeutete nicht notwendigerweise, dass sie auch die Einrichtung spontan anschaffen würde. Sie wollte unter keinen Umständen im Nachhinein feststellen, dass sie ihre Wohnung unbewusst mit genau demselben Prunk eingerichtet hatte, der Judits und Gretes Wohnungen dominierte. Stattdessen würde sie sich Zeit nehmen, um ihren eigenen Stil zu finden.
Während ihres Zusammenlebens mit Markus hatte sich ihr eigener Geschmack nach und nach verwischt. Sie nahm an, dass sich alle Paare, die zusammenlebten, im Hinblick auf die Einrichtung langsam dem Geschmack des anderen anpassten. Das Erstaunliche war nur, dass den meisten diese Veränderung ihres eigenen Stils nicht bewusst zu sein
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