Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
erreichte, war das Gefühl des Triumpfs über den selbstgefälligen Arzt verblasst und hatte Platz für rationalere Gedanken gemacht. Darüber, dass die Todesursache im Totenschein falsch angegeben war, konnte Ella noch hinwegsehen. Wenn man die näheren Umstände im Leben der alten Dame nicht kannte, konnte man kaum zur Verantwortung gezogen werden, nur weil man eine Kleinigkeit übersehen hatte. Sie war zwar an den Folgen ihrer Lungenkrankheit gestorben, aber nicht auf die Art und Weise, wie Doktor Lindmark glaubte. Die Frau hatte sich das Leben genommen. Sie hatte der Atemluft eine zu hohe Konzentration von Sauerstoff beigemengt. Die Folgen dessen waren weitläufig bekannt, und ihr physiologischer Hintergrund wurde allen Medizinstudenten vermittelt.
Die Abläufe, die die Atmung des Menschen regulieren, sind keineswegs unkompliziert. Jeder Atemzug beginnt damit, dass ein Signal an die Atemmuskulatur gesendet wird. Daraufhin wird sauerstoffreiche Luft eingeatmet und Kohlendioxid, das durch die Verbrennung erzeugt wurde, ausgeatmet. Dieser Mechanismus funktioniert bei Menschen mit gesunden Lungen, indem die Menge an Kohlendioxid im Blut im selben Verhältnis steigt, wie das Sauerstoffniveau sinkt, sodass man das Bedürfnis zu atmen verspürt und erneut Luft holt, wenn der Anteil an Kohlendioxid zu steigen beginnt. Nachvollziehbar wird dieser Vorgang, wenn man versucht, die Luft anzuhalten. Bei Rauchern mit kranken Lungen funktioniert dieser Mechanismus nicht mehr, sodass das Signal an die Atemmuskulatur stattdessen über die Konzentration des Sauerstoffs im Blut ausgelöst wird – ansonsten würden sie ständig das Gefühl haben, keine Luft zu bekommen. Wenn also die Konzentration des Sauerstoffs sinkt, machen sie unabhängig von der Konzentration des Kohlendioxids einen neuen Atemzug. Problematisch wird es allerdings, wenn ein Raucher mit kranken Lungen plötzlich zu viel Sauerstoff bekommt. Dadurch erhält der Körper das Signal, dass die Sauerstoffzufuhr ausreicht, und aktiviert deshalb die Atemmuskulatur nicht, weitere Atemzüge zu machen. Die Gefahr dabei besteht darin, dass das Kohlendioxid nicht ausgeatmet wird, sondern sich in lebensgefährlichen Konzentrationen im Blut ansammelt. Aus diesem Grund kann eine erhöhte Sauerstoffzufuhr für Lungenkranke tödlich enden. Sie hören ganz einfach auf zu atmen und driften in eine Bewusstlosigkeit, bis sie schließlich an einer Kohlendioxidvergiftung sterben.
Man hatte die alte Dame bestimmt ermahnt, äußerst vorsichtig mit der Regulierung der Sauerstoffzufuhr zu sein. Ella überlegte kurz, ob man ihr selbst auf irgendeine Weise vorwerfen könnte, einen Vorteil daraus gezogen zu haben, dass der Tod der Frau laut Totenschein auf ihre Lungenkrankheit zurückzuführen und nicht die Folge einer bewussten Handlung war. Sie verwarf den Gedanken und stellte nüchtern fest, wie froh sie war, dass die Dame sich nicht dafür entschieden hatte, ihre Tage zu beenden, indem sie sich eine Zigarette anzündete. Denn das hätte ihren Einzug am Samstag bedeutend komplizierter gestaltet.
Als sie nach Hause kam, setzte sie sich erschöpft auf den Fußboden im kleinen Gästezimmer und betrachtete ihre Umzugskartons. Sie fragte sich, wohin die Umzugskartons der alten Dame wohl transportiert werden würden. Es würde sie nicht weiter wundern, wenn Lovisa irgendwo einen Lagerraum angemietet und diesen für Jahre im Voraus bezahlt hätte. Doch Ella hegte keinerlei Absichten, sich näher mit der Planung ihres Ablebens zu befassen. Es war auch so schon makaber genug.
Kapitel 7
Die Gedanken an das Fenster in Gretes Haus kehrten erst wieder zurück, als Ella zu Bett ging. Markus war noch nicht nach Hause gekommen, und sie war dankbar dafür, heute Nacht nicht neben ihm einschlafen zu müssen. Sie benötigte allen Schlaf, den sie bekommen konnte, um klar denken zu können. Auch wenn Estrid ihr eine Menge aufschlussreicher Details über die Tage um Fredericks Tod herum berichtet hatte, wusste sie immer noch nicht genau, was eigentlich geschehen war. Widerstrebend wurde ihr bewusst, dass sie wohl auf ihre Mutter würde zugehen müssen, um eine endgültige Antwort zu erhalten. Während ihres gesamten erwachsenen Lebens hatte sie niemals Judits Hilfe in Anspruch genommen, sodass es ihr dementsprechend lästig war, nun in eine derartige Lage zu geraten. Während sie in ihrer großen Handtasche nach ihrem Handy suchte, fiel ein kleiner handgeschriebener Zettel heraus. Mit nachlässiger Schrift
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