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Todesmarsch

Titel: Todesmarsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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steht. Körperkontakt mit wem ich will, solange ich dabei die Straße nicht verlasse. Aber das ist nicht dasselbe. Es bleibt eine Mauer zwischen uns.«
    »Du hast leicht reden. Du wirst sie trotzdem sehen, verdammt noch mal.«
    »Vielleicht macht das alles nur noch schlimmer«, gab McVries zu bedenken. Er hatte sich ihnen still von hinten genähert. Sie kamen an die Winthrop-Kreuzung, die durch gelbe Warnleuchten abgesichert war. Garraty beobachtete den aufblinkenden Lichtschimmer auf der Straße, als sie die Kreuzung hinter sich gelassen hatten. Er erinnerte ihn an ein ängstliches, gelbes Auge, das nervös die Lider auf- und zuklappte.
    »Ihr seid alle verrückt«, sagte Parker liebenswürdig. »Ich verdrücke mich lieber.« Er beschleunigte seine Schritte und war bald darauf zwischen den blinkenden Schatten verschwunden.
    »Er glaubt, daß wir beide was miteinander haben«, sagte McVries amüsiert.
    »Er glaubt was?« Garratys Kopf war in die Höhe gefahren.
    »Er ist kein schlechter Kerl«, meinte McVries nachdenklich und warf Garraty dann einen belustigten Blick zu. »Vielleicht hat er sogar ein bißchen recht. Vielleicht habe ich dir deshalb deinen Hintern gerettet. Vielleicht bin ich wirklich schwul und scharf auf dich.«
    »So, wie ich aussehe? Ich dachte immer, Schwule stehen mehr auf den gertenschlanken Typ.« Trotzdem fühlte er sich unbehaglich.
    Plötzlich sagte McVries heftig: »Würdest du mir erlauben, dir einen herunterzuholen?«
    Garraty saugte die Luft zischend durch die Zähne: »Was, zum Teufel -«
    »Ach, hör doch auf«, unterbrach McVries ihn grob. »Diese ganze Selbstgerechtigkeit führt doch zu nichts. Ich werde es dir nicht einmal leichter machen, indem ich dir sage, ob ich einen Scherz gemacht habe oder nicht. Was sagst du nun?«
    Garratys Kehle war plötzlich wie ausgetrocknet. Die Sache war nämlich die, daß er sich nach Körperkontakt sehnte. Schwul oder nicht schwul, das machte nun, da sie sowieso alle starben, auch nichts mehr aus. Was ihm etwas ausmachte, war McVries. Aber er wollte nicht, daß McVries ihn berührte. Nicht auf diese Weise.
    »Na ja, ich meine, da du mir das Leben gerettet hast -« Er ließ den Satz in der Luft hängen.
    McVries lachte. »Ich soll mir wohl wie ein Schwein vorkommen, weil du mir etwas schuldest und ich dich ausnutzen kann. Ist es so?« ' »Mach, was du willst«, sagte Garraty kurz. »Aber hör auf, mit mir zu spielen.«
    »Heißt das ja?«
    »Mach, was du willst!« schrie Garraty. Pearson, der in letzter Zeit nur noch hypnotisiert auf seine Füße gestarrt hatte, fuhr erschrocken hoch. »Verdammt noch mal! Was immer du willst!«
    McVries lachte wieder. »Du bist in Ordnung, Ray. Laß dich nicht irre machen.« Er schlug ihm auf die Schulter und ließ sich zurückfallen.
    Garraty schaute ihm verwirrt nach. Die Sache war ihm schleierhaft.
    »Er kann einfach nicht genug kriegen«, sagte Pearson müde.
    »Häh?«
    »Schon fast zweihundertfünfzig Meilen«, stöhnte Pearson. »Meine Füße fühlen sich wie vergiftetes Blei an. Mein Rücken brennt. Und dieser wahnsinnige McVries hat immer noch nicht genug. Mir kommt er wie ein Verhungernder vor, der ständig Abführmittel schluckt.«
    »Willst du damit sagen, daß er verletzt werden will?«
    »Mein Gott, was weiß ich? Er sollte sich ein Haut-feste-auf-mich-drauf-Schild um den Hals hängen. Ich frage mich, was er zu kompensieren versucht.«
    »Das weiß ich nicht«, antwortete Garraty. Er wollte noch etwas hinzufügen, aber Pearson hörte schon nicht mehr zu. Er starrte weiter auf seine Füße hinunter, und sein erschöpftes Gesicht zeigte tiefe Angstfalten. Er hatte seine Schuhe verloren. Die schmutzigweißen Sportsocken beschrieben helle Bögen in der Dunkelheit.
    Sie kamen an einem Schild vorbei, auf dem LEWISTOWN 32 stand, und ungefähr eine Meile später spannte sich ein leuchtender Bogen aus Glühbirnen über die Straße, mit denen GARRATY 47 geschrieben war.
    Garraty hätte gern gedöst, aber er konnte es nicht. Er wußte, was Pearson mit seinem Rücken gemeint hatte. Seine Wirbelsäule fühlte sich wie eine hell lodernde Flamme an, und die hinteren Beinmuskeln waren offene, brennende Wunden. Der dumpfe Schmerz in seinen Füßen war durch schärfere, gemeinere Stiche ersetzt worden, als er sie je zuvor erlebt hatte. Er spürte keinen Hunger mehr, aber er aß trotzdem ein bißchen von den Konzentraten. Die meisten Geher waren nur noch Haut und Knochen - Horrormonster aus dem Konzentrationslager.

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