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Todesmarsch

Titel: Todesmarsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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hatte ich schon wieder vergessen. Ich habe mir die Fragen einfach durchgelesen und meinen Senf hingeschrieben, ihr wißt schon, und auf einmal komme ich zu diesem. Aufsatz, warum ich mich für den Marsch qualifiziert fühle. Da ist mir überhaupt nichts mehr eingefallen. Schließlich ist so ein Mistkerl in einem Armeemantel durch die Reihen spaziert und hat gesagt: >Sie haben noch fünf Minuten. Bitte sehen Sie zu, daß Sie fertig werden.< Also habe ich einfach hingeschrieben: >Ich fühle mich für die Teilnahme am Marsch qualifiziert, weil ich ein nutzloser Hurensohn bin und die Welt ohne mich sicher besser leben würde - es sei denn, ich gewinne den Preis und werde reich, so daß ich mir für jedes Zimmer meiner Villa einen Van Gogh kaufen und mir sechzig erstklassige Horsd'ceuvres bestellen kann und danach niemanden mehr belästigen werde. < Ich habe noch eine Minute darüber nachgedacht und dann in Klammern dazugesetzt: >Ich würde die sechzig erstklassigen Horsd'ceuvres auch fürs Altersheim stiften.< Ich dachte mir, das würde sie so richtig auf die Palme bringen. Und einen Monat später- ich hatte das Ganze längst vergessen - kommt ein Brief, in dem steht, daß ich mich qualifiziert habe. Ich war nahe dran, mir in die Jeans zu machen.«
    »Und du hast die Sache trotzdem durchgezogen?« fragte Collie Parker.
    »Ja, das ist schwer zu erklären. Es war nämlich so, daß alle das für den ganz großen Gag hielten. Meine Freundin wollte sich den Brief fotokopieren und unten beim Shirt Shack ein T-Shirt daraus nähen lassen. Sie fand, daß ich den größten Witz des Jahrhunderts an Land gezogen hatte. Und so war's mit allen. Sie schüttelten mir ständig die Hand, lachten und sagten: >He, Abe, da hast du's dem Major mal richtig gegeben, was?< Es war so komisch, ich konnte einfach nicht damit aufhören. Ich sag's euch -« Abraham lächelte traurig« - es wurde ein richtiger Aufstand. Jeder glaubte, daß ich dem Major bis zum Ende zeigen würde, was eine Harke ist, was ich ja auch gemacht habe. Und dann bin ich eines Morgens aufgewacht und war dabei. Ich war Nummer 16 aus der Trommel, wen's interessiert, gleich bei den Gehern. Also hat sich am Ende herausgestellt, daß der Major es mir gegeben hat.«
    Ein schwacher, freudiger Jubel erhob sich unter den Gehern, und Garraty blickte kurz hoch. Über ihnen hing ein großes beleuchtetes Straßenschild: AUGUSTA 10.
    »Du könntest wohl noch lachend sterben, was?« sagte Collie Parker.
    Abraham sah ihn lange an. »Der Gründungsvater findet das nicht komisch«, sagte er dann leise.

    Sie waren sich alle ziemlich einig gewesen, daß sie kaum noch Raum für übersteigerte Emotionen in sich hätten. Aber offensichtlich war es nicht so, dachte Garraty müde, als sie in der lärmenden Dunkelheit auf der U. S. 202 entlangmarschierten - Augusta lag schon eine Meile hinter ihnen. Er fühlte sich wie eine mißhandelte Gitarre, die ein gefühlloser Musiker zuschanden gerichtet hatte. Sie war nicht zerbrochen, aber völlig verstimmt, disharmonisch, chaotisch.
    Augusta war ganz anders als Oldtown gewesen. Oldtown war. ein affiges, nachgemachtes New York. Augusta dagegen war eine neue Stadt, in die die Leute einmal im Jahr fuhren, um ganz groß zu feiern, eine Stadt voll von auf der Straße tanzenden Betrunkenen, bunten Vögeln und total Verrückten.
    Sie hatten Augusta gehört, Augusta gesehen, lange bevor sie es erreicht hatten. Garraty sah immer wieder das Bild einer heftig auf einen fernen Strand brandenden Flut vor Augen. Schon fünf Meilen vor der Stadt hatten sie die Menge gehört. Die Lichter bestrahlten den Himmel in einem unnatürlich gedämpften Farbton, der beängstigend und irgendwie apokalyptisch wirkte. Garraty fühlte sich an die Bilder vom deutschen Blitzkrieg an der amerikanischen Ostküste während des Zweiten Weltkriegs erinnert, die er in seinem Geschichtsbuch gesehen hatte.
    Sie hatten sich ängstlich angeguckt und waren immer näher zusammengerückt, wie kleine Jungen bei einem schweren Gewitter oder eine Rinderherde im Schneesturm. Der anschwellende Lärm der Menge barg etwas Rohes, Wütendes. Ein Hunger, der sie betäubte. Garraty hatte plötzlich eine lebendige, angsteinflößende Vision von einem riesigen Spinnengott namens MENGE, der auf scharlachroten, spindeldürren Beinen über die Stadt hinwegkrabbelte und sie alle bei lebendigem Leib verschlang.
    Die Stadt selbst war verschluckt, erwürgt, begraben. Es gab buchstäblich kein Augusta mehr, und es waren

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