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Todesmarsch

Titel: Todesmarsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Majors«, sagte Garraty. Es sollte ein Witz sein, aber er kam nicht an. Bakers Gesicht wirkte in dem faden Licht des bewegten Himmels blaß und ausgezehrt.
    »Tante Hattie hatte neun Kinder. Neun, Garraty. Und vier hat sie mit demselben Lächeln beerdigt. Ihre eigenen Kinder. Es gibt wohl Leute, die andere gern sterben sehen. Ich verstehe das nicht - du etwa?«
    »Nein«, antwortete Garraty kurz. Baker machte ihn unruhig. Der Donner rollte wieder über den Himmel. »Ist sie jetzt tot, deine Tante Hattie?«
    »Nein.« Baker blickte prüfend zu den Wolken hinauf. »Sie ist zu Hause. Wahrscheinlich sitzt sie gerade in ihrem Schaukelstuhl auf der Veranda; sie kann nämlich nicht mehr gehen. Sie sitzt einfach da, schaukelt und hört sich die Nachrichten im Radio an. Und sie lächelt jedesmal, wenn sie eine neue Todesnachricht hört.« Er rieb sich mit den Handflächen die Ellenbogen. »Hast du jemals gesehen, daß eine Katze ihre Jungen auffrißt, Garraty?«
    Garraty antwortete nicht. Er spürte eine elektrische Spannung in der Luft, die etwas mit dem Sturm zu tun hatte, der über ihnen lauerte, aber es war noch etwas mehr. Er konnte nicht feststellen, was es war. Als er mit den Augen zwinkerte, glaubte er, die schielenden Augen von Freaky D'Allessio sehen zu können, die ihm aus der Dunkelheit zulächelten.
    Schließlich fragte er Baker: »Hat jemand in deiner Familie die Absicht, ins Beerdigungsgeschäft einzusteigen?«
    Baker lächelte schwach. »Nun ja, ich habe mir schon überlegt, in ein paar Jahren auf die Bestattungsunternehmerschule zu gehen. Ein gutes Geschäft. Bestattungsunternehmer verdienen sogar während einer Depression ihr Brot.«
    »Ich habe mir immer gedacht, ich werde mal in einer Kloschüsselmanufaktur arbeiten«, erzählte Garraty. »Verträge mit Kinos und Bowlingbahnen und so weiter abschließen. Todsichere Sache. Was meinst du, wie viele Kloschüsselmanufakturen gibt es wohl in diesem Land?«
    »Ich glaube, ich will nicht mehr Beerdigungsunternehmer werden«, murmelte Baker. »Aber das ist nicht so wichtig.«
    Ein gewaltiger Blitz jagte über den Himmel. Ihm folgte ein gigantischer Donnerschlag, und der Wind lebte in ruckartigen Böen wieder auf. Die Wolken rasten wie wahnsinnig gewordene Piraten durch ein nachtschwarzes Alptraummeer am Himmel entlang.
    »Es geht wieder los«, sagte Garraty. »Es geht wieder los, Art.«
    »Einige Leute sagen, es wäre ihnen egal«, fuhr Baker mürrisch fort. »>Ich will nur etwas Einfaches, wenn ich mal gehe, Don<, haben sie zu ihm gesagt. Meinem Onkel. Aber den meisten ist die Sache sehr, wichtig. Das hat er mir jedenfalls erzählt. >Ein einfacher Kiefernsarg reicht mir schon<, sagen sie, und wenn es soweit ist, bekommen sie doch einen großen - mit Bleieinfassung, wenn sie es sich leisten können. Viele schreiben sogar die Modellnummer in ihrem Testament fest.«
    »Warum?« fragte Garraty.
    »Da unten, wo ich zu Hause bin, da wollen alle Leute in einem Mausoleum bestattet werden. Über dem Boden. Sie wollen nicht unter der Erde liegen, weil der Grundwasserspiegel bei uns so hoch ist. In der Feuchtigkeit verrotten die Särge schneller. Aber wenn man über der Erde bestattet ist, muß man sich vor den Ratten in acht nehmen. Dicke Louisianasumpfratten. Friedhofsratten. Sie würden sich in Null Komma nix durch die Kiefernsärge nagen.«
    Der Wind zerrte mit unsichtbaren Händen an ihnen. Garraty hoffte, daß der Sturm endlich käme. Es war wie auf ei-nem irrsinnigen Karussell. Egal, mit wem man sich unterhielt, immer kam man wieder auf dieses verdammte Thema zu sprechen.
    »Ich wäre ja verrückt, wenn ich das täte«, sagte Garraty. »Fünfzehnhundert Dollar für einen Bleisarg hinlegen, nur damit mich nach meinem Tod die Ratten nicht zu fassen kriegen!«
    »Ich weiß nicht«, meinte Baker mit halb geschlossenen, schläfrigen Augenlidern. »Sie fressen zuerst die weichen Teile. Das ist es, was mir Sorgen macht. Ich könnte zusehen, wie sie ein kleines Loch in meinen Sarg nagen, es breiter machen und sich schließlich durchwinden. Und dann stürzen sie sich auf meine Augen, als wären es Brombeeren. Sie würden sie aufessen, und danach wäre ich ein Teil von ihnen. Es ist doch so, nicht wahr?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete Garraty matt.
    »Nein, danke. Ich würde jederzeit einen Sarg mit Bleieinfassung nehmen.«
    »Obwohl du ihn ja nur einmal brauchen wirst«, fügte Garraty mit einem erschreckten Kichern hinzu.
    »Das ist wahr«, schloß Baker die

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