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Todesmarsch

Titel: Todesmarsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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kleiner, untersetzter Junge in einer zerknitterten, grünen Seidenweste. Garraty kam es so vor, als hätte er seine letzte Warnung vor einer halben Stunde bekommen. Er warf einen kurzen, entsetzten Blick auf die Gewehre und eilte weiter. Sie hatten, jedenfalls für den Augenblick, ihre furchtbare Anziehungskraft auf ihn verloren.
    Auf einmal spürte er, daß seine Laune sich auf unerklärliche Weise hob. Sie konnten nicht weiter als vierzig Meilen von Oldtown und damit von der Zivilisation entfernt sein -wenn man eine Industrie-, Arbeiter- und Kanutenstadt Zivilisation nennen wollte. Sie würden irgendwann spät in der Nacht dort ankommen und damit endlich die Autobahn erreichen. Im Vergleich zu jetzt würde das Gehen auf der Autobahn ein glattes Dahinsegeln sein. Dort konnte man, wenn man Lust hatte, mit bloßen Füßen auf dem Gras des Mittelstreifens laufen. Den kalten Tau an den Sohlen spüren. Lie-ber Gott, wäre das wunderbar! Er wischte sich mit dem Unterarm über die Augenbrauen. Vielleicht war am Ende doch alles gar nicht so schlimm. Die rosa Flecken am Himmel waren näher gekommen und erwiesen sich eindeutig als Gewitterwolken.
    Die Gewehre gingen los, und er zuckte nicht einmal zusammen. Der Junge in der grünen Weste war tot. Er spähte mit zusammengekniffenen Augen in die Sonne. Vielleicht war auch der Tod gar nicht so schlimm. Schließlich mußte ihm früher oder später jeder, sogar der Major, ins Gesicht sehen. Wer beschwindelte hier also wen, wenn man die Dinge genauer betrachtete? Er nahm sich vor, mit McVries darüber zu sprechen, wenn er ihn nächstesmal traf.
    Zunächst beschleunigte er seine Schritte ein bißchen und beschloß, dem nächsten schönen Mädchen, das er entdeckte, zu winken. Doch bevor er ein schönes Mädchen sah, tauchte ein kleiner Italiener am Straßenrand auf.
    Eigentlich war er eine Karikatur eines Italieners mit einem zerbeulten Filzhut und pechschwarzem, an den Enden hochgezwirbeltem Schnurrbart. Er stand neben einem alten Kombiwagen, dessen hintere Ladeklappe heruntergelassen war, winkte und lächelte mit unglaublich weißen, unglaublich quadratischen Zähnen.
    Die Ladefläche seines Kombiwagens war mit einer Isoliermatte ausgelegt, auf der sich ein Berg aus zerschlagenem Eis erhob, und durch das Eis hindurch schimmerten pfefferminzgrün und rosig frisch Wassermelonenstücke.
    Garratys Magen überschlug sich zweimal, genau wie ein Turmspringer bei einem doppelten Salto. Auf dem Kombiwagen war ein Schild angebracht: DOM L'ANTIO HAT DIE GEHER INS HERZ GESCHLOSSEN - FREIE WASSERMELONEN FÜR ALLE!
    Mehrere Jungen, darunter auch Abraham und Collie Parker, trotteten auf den Seitenstreifen zu. Alle wurden verwarnt. Zwar waren sie schneller als vier Meilen pro Stunde, aber sie liefen in die falsche Richtung. Dom L'Antio sah sie kommen und lachte - ein erfrischend fröhlicher und unkomplizierter Klang. Er klatschte in die Hände, grub sie ins Eis und zog sie voll strahlend rosigen Wassermelonenstücken wieder hervor. Garratys Mund zog sich gierig zusammen. Sie werden es ihm nicht erlauben, dachte er. Genausowenig, wie sie dem Getränkeverkäufer erlaubt hatten, ihnen Sodawasser zu reichen. Aber, o Gott, es würde so gut schmecken. Wäre es denn wirklich zuviel verlangt, wenn sie nur dies eine Mal die Leine etwas lockerer ließen? Außerdem, wo hatte er zu dieser Jahreszeit die Wassermelonen her?
    Die abtrünnigen Geher bewegten sich jetzt außerhalb der Absperrungsleine, die kleine Zuschauergruppe, die sich um Dom L'Antio versammelt hatte, gebärdete sich wie verrückt vor Freude, zweite Verwarnungen wurden ausgeteilt, und plötzlich tauchten wie aus dem Nichts drei Staatspolizisten auf und nahmen Dom L'Antio fest. Seine Stimme erhob sich laut und deutlich über den Lärm:
    »Was soll das heißen? Was soll das heißen, ich kann nicht? Das sind meine Melonen, du verdammter Bulle! Ich will sie verschenken. Verschenken! He, was glaubst du denn? Laß meinen Wagen in Ruhe, du Vollidiot!«
    Einer der Polizisten griff nach den Wassermelonenstük-ken, die Dom in seiner Hand hielt, ein anderer wand sich um ihn herum und knallte die Ladeklappe seines Kombis zu.
    »Ihr Bastarde!« schrie Garraty so laut, wie er konnte. Der Schrei zerschnitt die Mittagshitze wie ein Glasspeer, und einer der Bullen drehte sich verblüfft und beinahe beschämt um.
    »Ihr stinkenden Bastarde!« schrie Garraty weiter. »Ich wünschte bloß, eure Mütter hätten euch alle abgetrieben, ihr Hurensöhne!«
    »Gib's

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