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Todesmarsch

Titel: Todesmarsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Unterhaltung feierlich.
    Wieder schoß ein gegabelter, beinahe rosafarbener Blitz über den Himmel, und die Luft roch plötzlich nach Ozon. Einen Augenblick später brach das Gewitter los. Diesmal war es kein Regen, sondern Hagel.
    Innerhalb von fünf Sekunden wurden sie von einer Unmenge Hagelkörner überschüttet, die so groß wie Kieselsteine waren. Mehrere Jungen schrien laut auf, und Garraty schirmte mit einer Hand seine Augen ab. Der Wind wurde zu einem kreischenden Sturm. Hagelkörner krachten und prasselten auf die Straße, auf ihre Leiber und in ihre Gesichter.
    Jensen geriet total in Panik und rannte, die Hände über den Augen und mit den Füßen übereinanderstolpernd, im Kreis herum. Schließlich rutschte er den Abhang hinunter, und die Soldaten schössen gut ein halbes Dutzend Ladungen durch den undurchsichtigen Hagelvorhang, bis sie sicher sein konnten. Wiedersehen, Jensen, dachte Garraty. Tut mir leid für dich, Mann.
    Dann mischte Regen sich unter den Hagel, sauste ihnen auf dem Abhang, den sie gerade emporklommen, entgegen und schmolz die Körner, die verstreut um ihre Füße lagen. Ein weiterer Hagelschauer brach über sie herein, gefolgt von Regen und wieder Hagel. Doch dann beruhigte das Wetter sich wieder etwas, bis es nur noch gleichmäßig regnete und ab und zu laut donnerte.
    »Verdammt!« brüllte Parker und kam auf Garraty zu. »Garraty, das ist zweifellos der ...«
    »Ja, der beschissenste Staat von allen einundfünfzig«, beendete Garraty den Satz. »Geh und ertränk deinen Kopf!«
    Parker beugte den Kopf in den Nacken, öffnete den Mund und ließ den kalten Regen hineinplätschern.
    »Das tue ich! Verdammt noch mal, das tue ich!«
    Garraty beugte sich gegen den Wind und holte McVries ein. »Wie findest du das?« fragte er ihn.
    McVries umklammerte sich selbst und zitterte. »Du kannst nicht gewinnen. Jetzt wünschte ich, die Sonne wäre wieder draußen.«
    »Es wird nicht lange dauern«, tröstete Garraty ihn, aber da täuschte er sich. Um vier Uhr nachmittags regnete es immer noch.

    Es gab an diesem Abend keinen Sonnenuntergang, als sie in ihre zweite Nacht auf der Straße hinein wanderten. Der heftige Regen war gegen halb fünf in ein leichtes, kaltes Nieseln übergegangen, das fast bis acht Uhr anhielt. Dann brachen die Wolken allmählich auf, und es waren ein paar kalt strahlende Sterne zu sehen.
    Garraty machte sich in seinen feuchten Kleidern ganz klein und brauchte keine Wetteransage, um zu wissen, aus welcher Richtung der Wind blies. Er sprang launisch nach allen Seiten und hatte die linde Wärme, die sie bis jetzt noch begleitet hatte, wie einen alten Teppich unter ihnen weggezogen.
    Vielleicht gaben die Zuschauer ein bißchen Wärme ab. Hitzestrahler oder so was. Immer mehr hatten sich am Straßenrand eingefunden. Sie standen wegen der Kälte dicht zusammengedrängt und jubelten nicht mehr. Sie guckten bloß, wie die Jungen vorbeigingen, und eilten dann wieder nach Hause oder zum nächsten Aussichtspunkt. Falls sie gekommen waren, um Blut zu sehen, wurden ihre Erwartungen enttäuscht. Seit Jensen hatten sie nur zwei Teilnehmer verloren, beides junge Burschen, die einfach in Ohnmacht gefallen waren. Jetzt war genau die Hälfte ausgeschieden. Nein, eigentlich mehr als die Hälfte. Fünfzig weg, und neunundvierzig waren noch zu besiegen.
    Garraty lief allein. Ihm war zu kalt, um schläfrig zu werden. Er preßte die Lippen zusammen, damit sie nicht so zitterten. Olson war immer noch bei ihnen; es waren halbherzige Wetten abgeschlossen worden, ob Olson wohl der fünfzigste sein würde, den die Soldaten erwischten. Der Halbzeitjunge. Aber er war es nicht. Dieses traurige Schicksal ereilte die Nummer 13, Roger Fenum. Gute, alte Unglückszahl. Garraty fing langsam an zu glauben, daß Olson endlos weitergehen würde. Vielleicht so lange, bis er verhungerte. Er hatte sich sicher an einem Ort vergraben, an dem er keine Schmerzen mehr spürte. In gewisser Weise, dachte Garraty, wäre es eine Art poetischer Gerechtigkeit, wenn Olson gewinnen würde. Er konnte schon die Schlagzeile sehen: DIESJÄHRIGER MARSCH VON EINEM TOTEN GEWONNEN!
    Garratys Zehen waren taub. Er rieb sie gegen die Ledernähte seiner Schuhe und konnte sie nicht mehr fühlen. Die wirklichen Schmerzen kamen jetzt nicht mehr von den Sohlen, sondern aus der Fußwölbung. Jedesmal, wenn er auftrat, spürte er einen scharfen, gemeinen Stich, der ihm bis in die Waden hinauffuhr. Es erinnerte ihn an eine Geschichte, die seine

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