Todesmarsch
Wangen herunter.
»Ich bin keine wandelnde Straßenkarte«, gab Garraty zurück.
»Trotzdem - es ist dein Staat.«
»Schlimm.«
»Ja, anzunehmen.« Es war jedoch keine Bösartigkeit in Pearsons Summe. »Mannomann, ich würde so was nie wieder tun, in tausend Jahren nicht.«
»Du solltest so lange leben.«
»Ja.« Pearson wurde plötzlich kleinlaut. »Ich habe darüber nachgedacht. Wenn ich so müde werde, daß ich nicht mehr weitergehen kann, werde ich dort hinüberrennen und in der Menge untertauchen. Sie werden es nicht wagen, auf sie zu schießen. Vielleicht kann ich ihnen entkommen.«
»Es wird wie ein Sprung aufs Trampolin sein«, entgegnete Garraty. »Sie werden dich sofort auf die Straße zurückstoßen, damit sie dich bluten'sehen. Erinnerst da dich nicht an Percy?«
»Percy hat nicht nachgedacht. Er hat einfach bloß versucht, in den Wald abzuhauen. Das hat ihm das Genick gebrochen.« Er blickte Garraty neugierig an. »Bist du gar nicht müde, Ray?«
»Scheiße, nein.« Garraty schwang mit vorgetäuschter Grandezza seine dünnen Arme. »Siehst du nicht, daß ich vor Leben berste?«
»Mir geht es schlecht«, gestand Pearson und leckte sich über die Lippen. »Es fällt mir schon außerordentlich schwer, klar zu denken. Meine Beine fühlen sich so an, als ob sie von unten bis oben mit Harpunen -«
McVries trat von hinten an sie heran. »Scramm stirbt«, sagte er unverblümt.
»Häh?« fragten Garraty und Pearson einstimmig.
»Er hat Lungenentzündung«, erklärte McVries.
Garraty ruckte. »Ich habe so was befürchtet.«
»Man kann seinen Atem fünf Meter weit hören. Klingt so, als würde jemand den Golfstrom hindurchpumpen. Wenn es heute wieder so heiß wird, wird er einfach ausbrennen.«
»Armer Kerl«, sagte Pearson, und die Erleichterung in seiner Stimme war ebenso unbewußt wie auch unverkennbar. »Ich glaube, er hätte uns alle in die Tasche stecken können. Und er ist verheiratet. Was wird seine Frau nun machen?«
»Was kann sie machen?« fragte Garraty zurück.
Sie waren in die Nähe der Menge geraten und achteten kaum auf die Hände, die sich nach ihnen ausstreckten, um sie zu berühren - man lernte schnell. Abstand zu halten, nachdem die Fingernägel ein- oder zweimal die Haut am Arm aufgekratzt hatten. Ein kleiner Junge heulte, weil er nach Hause gehen wollte.
»Ich habe mit allen gesprochen«, sagte McVries. »Na ja, mit fast allen. Ich finde, daß der Gewinner etwas für sie tun sollte.«
»Und was?« fragte Garraty.
»Das müssen Scramms Frau und der Gewinner untereinander ausmachen. Und wenn der Bastard kneift, kommen wir alle als Gespenster zurück und verfolgen ihn.«
»In Ordnung«, sagte Pearson. »Was ist dabei schon zu verlieren?«
»Ray?«
»Klar. Sicher. Hast du schon mit Barkovitch gesprochen?«
»Dem Arschloch? Der würde ja nicht einmal seine Mutter künstlich beatmen, wenn sie am Ertrinken wäre.«
»Ich werde mit ihm reden«, sagte Garraty.
»Das wird nichts nützen.«
»Egal. Ich werd's gleich versuchen.«
»Ray, dann sprich doch auch gleich mit Stebbins. Du scheinst der einzige zu sein, mit dem er redet.«
Garraty grunzte. »Ich kann dir schon im voraus sagen, was er antworten wird.«
»Nein.«
»Doch. Er wird mir für alles die Gründe darlegen, und wenn er fertig ist, weiß ich überhaupt nicht mehr, worum's geht.« , »Na gut, dann laß ihn aus.«
»Kann ich nicht.« Garraty marschierte auf Barkovitchs kleine, eingefallene Gestalt zu. »Er ist schließlich der einzige, der immer noch glaubt, daß er gewinnen wird.«
Barkovitch döste vor sich hin. Mit den beinahe geschlossenen Augen und dem weichen Bartflaum auf den Wangen sah er wie ein abgenutzter und ziemlich mißhandelter Teddybär aus. Seine Regenkappe hatte er entweder verloren oder irgendwann weggeworfen.
»Barkovitch.«
Barkovitch fuhr zusammen. »Was is los? Wer is da? Garraty?«
»Ja. Hör mal zu, Scramm stirbt.«
»Wer? Ah, richtig, der große Ochse da drüben. Gut für ihn.«
»Er hat Lungenentzündung und wird es wahrscheinlich nicht mehr bis zum Mittag machen.«
Barkovitch wandte langsam den Kopf und sah Garraty mit seinen glänzenden, schwarzen Knopfaugen an. Ja, heute morgen sah er eindeutig wie der mißhandelte Teddybär eines zerstörerisch veranlagten Kindes aus. »Sieh mal an, was für ein ernstes Gesicht du vor dir herträgst, Garraty. Was hast du auf dem Herzen?«
»Falls du es noch nicht weißt, er ist verheiratet, und -«
Barkovitchs Augen weiteten sich, bis sie
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