Todesmelodie: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
überwältigte er sie, betäubte und vergewaltigte sie. Irgendwann hatte er damit begonnen, sie zu zerstückeln und die Leichen erneut zu schänden. Ein Schauer überlief die Kommissarin, aber auch Ted Bundy war seit über zwanzig Jahren tot, hingerichtet auf dem elektrischen Stuhl.
»Hmmm«, setzte Julia schließlich an, »Serienkiller hin oder her, wir haben genau genommen nur ein Opfer, das diesem Schema entspricht. Mason und Stiegler zum Beispiel – als männliches Opfer einmal mit eingerechnet – weichen von diesem Bild ja völlig ab, oder?«
»Natürlich, das muss ja auch gar nichts bedeuten«, rechtfertigte sich Andrea Sievers. »Ich wollte nur meinen ersten Gedanken korrigieren und klarstellen, dass es nicht zu Dahmer passt. Noch weniger als zu Bundy jedenfalls. Weißt du, Julia«, seufzte sie dann, »das Faible für Serienkiller hab ich nun mal, ist vielleicht eine Berufskrankheit. Zwischen den ganzen alltäglichen Schießereien und Messerstichen oder den verlorenen Seelen aus dem Drogenmilieu, die mit Anfang zwanzig die Konstitution eines Sechzigjährigen haben, da dürstet es einen schon mal nach einem spektakulären Fall.«
Julia Durant bemühte sich, das zu verstehen, konnte es aber in diesem Fall nicht nachvollziehen. »Na ja, gar keine Gewaltverbrechen wäre wohl auch etwas zu viel verlangt, ich sitze ja schließlich nicht gerne im Büro und drehe Däumchen. Aber in diesem Fall … ich meine, nach der x-ten toten Frau habe ich schon mal die Schnauze voll und wünschte mir, diese jungen Dinger hätten noch glücklich weiterleben dürfen.«
»Ob es so glücklich war, weiß ich nicht.«
»Wieso?«
»Nun, es gibt einige Hinweise – wohlgemerkt, bisher nur Indizien –, die uns vermuten lassen, dass die Kleine sich prostituiert hat.«
»Und die wären?«
»Na, mal abgesehen von der Wohnung – du weißt schon, das ganze Ambiente und so –, macht der Vaginal- und Analbereich der Kleinen den Eindruck, als habe dort regelmäßiger Verkehr stattgefunden. Über das Maß einer glücklichen Beziehung hinaus, würde ich sagen. Das kann nicht alles in einer Nacht entstanden sein, Klammer auf: persönliche Einschätzung, Klammer zu, ich werde das aber noch gezielt untersuchen. Leider ist das bei dem Zustand nicht ganz einfach.«
Das nächste Telefonat führte Julia Durant wieder mit Hochgräbe von der Kripo in München.
»Dachte mir schon, dass wir uns bald wieder hören«, klang dessen Stimme durch den Lautsprecher. »Haben Sie die Akte schon eingesehen?«
»Sitze gerade davor«, antwortete Julia und blätterte sich mit einigen Mausklicks durch den Anhang der entsprechenden E-Mail. Der Fall Natalia Ebert hatte die Behörden offenbar intensiv beschäftigt, wie sie anerkennend feststellte. Nur allzu oft wurden junge getötete Frauen als ungeklärte Gewaltverbrechen ad acta gelegt, viel zu oft geschah es, dass man sie als Kollateralschaden des organisierten Handels mit osteuropäischen Mädchen betrachtete und nicht einmal ihre Identität in Erfahrung zu bringen vermochte. Natalia Ebert gehörte nicht zu diesen Mädchen, war aber offenbar in verschiedenen Internetforen angemeldet gewesen und hatte dort sexuelle Dienstleistungen angeboten. Von Sabine Kaufmann wusste Julia, dass diese Form der Prostitution in den letzten Jahren stark zugenommen hatte, unter Bezeichnungen wie »Taschengeldluder« oder »Hobbyhuren« boten Frauen sich feil; völlig legal. Es war kein Geheimnis, dass viele von ihnen einen Zuhälter hatten, einen sogenannten Beschützer, der zugleich den Löwenanteil ihrer Einkünfte abgriff, jedoch arbeitete ein nicht unerheblicher Teil dieser Frauen auf eigene Rechnung und eigenes Risiko. Natalia Ebert hatte dies mit ihrem jungen Leben bezahlt, sie war gerade einmal dreiundzwanzig Jahre alt geworden.
»Das Problem bei diesen Mädels ist, dass es keinerlei Aufzeichnungen gibt, also auch nicht elektronisch«, erklärte Hochgräbe. »Der Kontakt kommt über eine Internetplattform zustande, auf der zwar die Frauen Accounts haben, nicht aber die Besucher. Das Beste, was uns dabei passieren kann, ist, wenn der erste Kontakt über ein Formularfeld hergestellt werden muss, dann hat man wenigstens die IP-Adresse.«
Julia überlegte schnell: »IP«, die Kennung eines Computers im Netzwerk. Herr Schreck hatte ihr das einmal recht anschaulich erklärt.
»Leider benutzen potenzielle Freier meist entsprechende Software, um ihre Adressen zu verschleiern, oder gehen gleich ins Internetcafé«,
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