Todesmelodie: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
preis. Wie in Zeitlupe setzte sich ein Bild zusammen, dabei waren nur Sekunden vergangen.
Der dritte Schlag der Turmuhr klang noch nach, als Alexander Bertrams Blick die tiefgründigen Augen seines Gegenübers einfing. Er kannte diese strahlend blauen Augen, das nachdenkliche Lächeln, die schmale Nase und diese zarte, makellose Gesichtshaut mit dem hellen Teint.
Sein Atem stockte, und er brachte kaum mehr als ein kehliges Flüstern hervor, als er entsetzt ihren Namen hervorstieß.
»Jennifer Mason!«
Freitag, 18.06 Uhr
S abine Kaufmann kam als Letzte ins Besprechungszimmer, außer Atem, aber bis über beide Ohren strahlend. Ihr Arbeitstag hatte genauso früh begonnen wie bei allen anderen auch, es war zudem eine schlauchende Woche, dennoch sah sie blendend aus. Enge Bluejeans, ein weißes Top, unter dessen straffem Stoff sich eine erstklassige Figur verbarg, das Make-up dezent und wie frisch aufgetragen. »Hallo zusammen!«
»Wieso gehst du nicht an dein Handy?«, fragte Julia Durant ungehalten.
»Sorry, ich hab das heute Mittag irgendwo liegenlassen. Herr Schreck war so nett und wollte es anpeilen, aber was nützt mir eine Peilung auf meine Adresse oder das Präsidium, wenn ich dadurch nicht weiß, in welchem Raum oder welcher Schublade ich es gelassen habe. Scheiße, ich hab echt drei Kreuze geschlagen, als ich es wiederhatte! Das kommt garantiert nicht mehr vor, ihr kennt mich ja … Ich ohne mein Handy, das geht gar nicht.«
»Angst, dass dir einer von Amors Pfeilen entgehen könnte?«, stichelte Hellmer, doch Sabine lächelte nur höflich und schwieg. Julia bemerkte diese Reaktion ebenfalls. Sabine Kaufmann, das unbekannte Wesen. Man wurde einfach nicht schlau aus ihr, es gab Bereiche, in die die adrette Kollegin partout keinen Einblick gewähren wollte. Vielleicht hat sie ihre Gründe, dachte Julia, ganz bestimmt hat sie die. Wenn das ganze Chaos vorbei ist, dann werde ich mir mal eine Gelegenheit suchen, um sie besser kennenzulernen.
Sabine wandte sich an Julia. »Du errätst nie, mit wem ich heute gesprochen habe«, sagte sie mit einem kessen Zwinkern und zog einen gelben Notizzettel aus ihrer Hosentasche.
»Spuck’s schon aus«, grummelte Julia, noch immer ein wenig ungehalten, weil sie den ganzen Tag nichts von ihrer feschen Kollegin gehört hatte. Ob Berger sich damals auch so gefühlt hatte, wenn sie mal wieder auf Alleingang gewesen war? Mit Sicherheit, dachte sie und unterdrückte ein Lächeln. Gespannt musterte sie das zerknitterte Papier, zwei Telefonnummern waren darauf verzeichnet, eine kam ihr vage bekannt vor, sie begann mit der Vorwahl von Frankfurt, 069. Das andere war eine Handynummer, eine dieser langen zwölfstelligen Nummern, bei deren Eintippen man permanent kontrollieren musste, ob man nicht aus Versehen eine Ziffer vergessen hatte.
Sabine grinste. »Ich verrate nur so viel: Auf dem Festnetz wirst du um diese Zeit wahrscheinlich kein Glück mehr haben. Kommissare brauchen auch ihren Schönheitsschlaf, selbst in Offenbach.«
»Peter Brandt!«, entfuhr es Julia, als ihr mit einem Mal klarwurde, woher sie die Nummer kannte. Es war seine Durchwahl im Präsidium, sie warf einen prüfenden Blick auf die Uhr, nein, sie versuchte es besser gleich auf dem Handy.
»Ja?«, meldete sich die wohlbekannte Stimme des Offenbacher Hauptkommissars.
»Dreimal dürfen Sie raten«, erwiderte Julia Durant.
»Ach Mensch, die Frau Kollegin vom anderen Mainufer, guten Abend!«
»Ebenso. Ist ein Weilchen her, nicht wahr?«
»Allerdings. Drei Jahre bestimmt, oder? Nein, vier sogar. Habe gehört, Sie haben einen kleinen Karrieresprung gemacht?«
»Nur vertretungsweise. Berger hat eine üble Bandscheibengeschichte, er kommt aber wieder. Sie kennen mich doch, ich gehöre auf die Straße, unter die Menschen und nicht ins Büro.«
»Tja, aber die beste Polizeiarbeit spielt sich nun mal immer auch an der Tafel, in der KTU und am Telefon ab«, konterte Brandt. »Schauen Sie doch hin: Was tun wir denn gerade in diesem Moment?«
»Was Sie tun, weiß ich nicht«, gab Julia spitz zurück. » Wir haben gerade eine Besprechung, und dazu brachte meine Kollegin Ihre Telefonnummer mit.«
»Aufgeweckte junge Frau«, kommentierte Brandt anerkennend.
»Werde ich ausrichten. Aber Ihnen muss man ja auch gratulieren, wenn die internen Memos und Presseberichte stimmen.«
Julia Durant spielte auf das Neuendorf-Urteil an, ein in den Medien vielbeachteter Fall, bei dem es um Missbrauch in kirchlichen Heimen
Weitere Kostenlose Bücher