Todesmelodie: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
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»Hallo?«, unterbrach Julia ihr Gegenüber entnervt. »Bitte komm auf den Punkt.«
»Wart’s doch ab«, erwiderte Sievers grinsend. »Der Penis wurde mit einem extrem scharfen Gegenstand zerteilt, in erigiertem Zustand, das zeigt der saubere Schnitt. Wenn es ein Blutpenis wäre, hätte das wohl anders ausgesehen. Das Ergebnis allerdings ist dasselbe: Der verletzte Schwellkörper hat Unmengen an Blut ausfließen lassen. Wie du siehst, fehlt hier zwar der Schnitt am Hals, die Todesursache ist aber eindeutig Verbluten.«
»Danke, das wollte ich wissen«, betonte Julia und schüttelte dann den Kopf. »Du bist manchmal schon irgendwie beängstigend mit deinem schrägen Tatort-Humor.«
»Da war nichts Lustiges dabei«, verteidigte Andrea sich. »Ich dachte mir nur, das mit den Penissen sollte man eben wissen. Kenne deinen Feind, sage ich immer, das erspart einem so manchen ernüchternden Moment.«
Die beiden Frauen grinsten kurz, dann ließ die Kommissarin den Blick erneut über Bertrams Leiche wandern. Auch sein Gesicht war blutverschmiert, die Augenhöhlen leer, genau wie auf den Tatortfotos, die Julia von Carlo Stiegler kannte. Die Tatorte, die Leichen – ein wiederkehrender Alptraum, ging ihr durch den Kopf. Sie wandte sich wieder an Andrea: »Mal abgesehen von Augen und Penis, wie sieht es ansonsten aus mit Folter, Betäubungsmitteln, Spuren und so weiter?«
»Frakturen und Hämatome gibt es einige, aber was genau sich hier abgespielt hat«, die Pathologin zuckte mit den Schultern, »kann ich dir erst nach der Autopsie sagen. Eines nur vorweg, aber das ist ja offensichtlich: Dieser junge Mann musste sehr lange, sehr heftige Schmerzen ertragen.«
»Julia, kommst du mal?«, erklang Hellmers Stimme, und die Kommissarin fuhr herum. Er stand fünf Meter entfernt, unweit der gegenüberliegenden Wand, und deutete auf einen Schriftzug, der zwischen zwei abgedunkelten Fenstern an ein etwa zwei Meter breites Stück Wand geschrieben war.
»Graffiti, na und?«, wunderte sie sich, während sie sich ihrem Partner näherte. »Die gibt es hier in rauhen Mengen.«
»Stimmt, aber das hier ist etwas ganz anderes als das herkömmliche Philipp liebt Tina «, kommentierte Hellmer. Mittlerweile hatte Julia ihn erreicht und betrachtete die dunklen, offenbar mit dem Pinsel gezogenen Buchstaben.
»Mein Gott«, entfuhr es ihr. »Ist das etwa Blut?«
»Ja, da bin ich ziemlich sicher«, nickte Hellmer langsam.
Julia las die Zeilen und grübelte einen Moment.
sometimes all of our thoughts are misgiven
and my spirit is crying for leaving
and a new day will dawn for those who stand long
»Dieser Text …«, begann sie langsam.
»Kommt einem bekannt vor, und man muss trotzdem ne ganze Weile grübeln«, bestätigte Hellmer. »Aber es sind definitiv drei Zeilen aus Stairway to Heaven. Einer der Spusi-Kollegen hat mir außerdem bestätigt, dass der Song hier unten lief, als die ersten Beamten eintrafen. Sie haben es dokumentiert und abgeschaltet, ohne dabei eventuelle Spuren zu vernichten.«
»Was will er uns damit sagen?«, rätselte Julia weiter und versuchte, die Worte in eine vernünftige Übersetzung zu bringen.
Manchmal sind alle Gedanken verschenkt – nein –
all unsere Gedanken sind böse Vorahnungen.
Und mein Geist sehnt sich danach, zu verschwinden.
Und ein neuer Tag dämmert für die, die bleiben – nein –
er bricht an für alle, die durchhalten.
Sie wiederholte die Sätze laut.
»Wenn ich in meinen wilden Jahren als langhaariger Rocker eines gelernt habe«, schmunzelte Hellmer, der damit maßlos übertrieb, »dann, dass man Stairway to Heaven besser nicht zu übersetzen versuchen sollte. Da sind schon ganz andere dran gescheitert, mal abgesehen davon, dass diese drei Zeilen in dem Song gar nicht direkt aufeinanderfolgen.«
»Trotzdem ein klares Statement, oder?«, gab Julia zu bedenken. »Ich meine, dieser Song ist doch überall präsent, aber so deutlich war es noch nie. Die Frage ist, was er uns damit sagen will.«
»Und vor allem, wer «, warf Hellmer ein. »Es war ja nun wohl nicht Bertram, so viel ist sicher. Mal angenommen, Bertram hat die jungen Frauen getötet, was ist dann mit Stiegler? Und welche Rolle spielt Sinclair, der die beiden Männer ja nachweislich verfolgt hat? Kann ja eigentlich nur er sein, oder?«
»Moment, Moment, nicht so voreilig«, bremste Julia ihn mit einer raschen Handbewegung.
»Na, dann warte mal ab«, bat Hellmer, »bis ich dir den Mitschnitt der Zentrale
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