Todesmelodie: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
Stimmen, sie erkannte die von Andrea Sievers, vermutete außerdem, dass Platzeck und dessen Kollegen nicht weit waren. Hellmer beschleunigte seine Schritte, lief zielstrebig auf die Tür zu, deren Rahmen an einer Stelle gebrochen und aus der Wand gerissen war.
»Ach du heilige Scheiße«, entfuhr es Julia Durant, als sie in geduckter Haltung den Kellerraum betrat. Es roch nach Urin, dazu etwas modrig, was bei den feuchten, schimmelnden Wänden überall nicht verwunderlich war. Kein schöner Ort, um zu sterben, dachte sie zynisch, selbst für einen Perversen wie Bertram.
Der Raum, allem Anschein nach eine Kellerbar, war abgedunkelt, die Fenster mit Pappe verklebt. Ein notdürftig mit silbernem Gewebeband instand gesetzter Bettrahmen stand an der linken Wand, darauf lag eine fleckige Matratze. Durch die rostigen Gitterstäbe am Fußende des Rahmens erkannte Julia, dass die Matratze im unteren Bereich rot gefärbt war, vollgesogen mit Blut, wie sie schloss. Auf dem Bett lag ein nackter Mann, die Handgelenke mit Kabelbindern an den Rahmen gezurrt, die Füße mit Stricken an die unteren Pfosten gebunden. Julia Durant sah Andrea Sievers am Bettrand knien und in ihrem Koffer kramen. Sie blickte sich fragend zu Hellmer um, der ihr den Vortritt gelassen hatte.
»Ist die Spurensicherung schon fertig?«
»Gehen Sie nur, wir sind mit dem Zugangsbereich durch«, begrüßte sie ein Mann, dessen Gesicht Julia in seinem Schutzanzug nicht sehen konnte und dessen Stimme sie nicht kannte. Er hatte sich eben an Hellmer vorbei in den Raum gezwängt und eilte bereits weiter in die gegenüberliegende Ecke.
»Das war ja prompte Bedienung, wie?«, lächelte Hellmer matt und deutete in Richtung Bett. »Lass du dir ruhig von Andrea alles berichten, ich schaue mir mit Platzecks Jungs mal den Rest an.«
Die Kommissarin näherte sich, vermied es dabei, durch die Nase zu atmen, denn offenbar war es nicht nur Blut, das sich auf der Matratze befand.
»Hast du momentan nicht eigentlich einen Bürojob?«, hörte sie die Pathologin fragen, die ihren Blick nur kurz erhob, ein kurzes Lächeln aufsetzte und sich dann wieder ihrem Koffer widmete, bevor Julia antworten konnte.
»Soll ich wieder gehen?«, erwiderte sie deshalb schnippisch.
»Hey, war nicht so gemeint, warte kurz!« Andrea richtete sich mit einem kurzen Ächzen aus der Hocke auf und streifte die Handschuhe ab. »So, noch mal von vorn. Grüß dich, Julia, schön, dich zu sehen, darf ich vorstellen: Bertram, der Blutleere. Habe mir hier die ganzen Instrumente eingesaut, und das an meinem Shopping-Samstag.«
»Ich könnte mir auch eine schönere Wochenendbeschäftigung vorstellen«, entgegnete Julia. »Dann sehen wir mal zu, dass wir hier wieder rauskommen, oder? Sag mal an, was du hast, also Todeszeitpunkt, Ursache, Details und so weiter.«
Andrea Sievers schniefte, verzog dabei die Nase und deutete mit dem Daumen neben sich in Richtung Bett.
»Gemäß Lebertemperatur dürfte der seinen letzten Ablass gegen drei Uhr heute früh gehabt haben.«
»Ablass?«, wiederholte Julia Durant skeptisch, ahnte jedoch bereits, dass es wieder in einen von Andreas trockenen Kommentaren ausarten würde.
»Hast du nicht die Pracht gesehen?«, fragte diese zurück und deutete auf die dunkle Masse unterhalb der Genitalien. »Mit dem Tod lässt der Muskeltonus nach, und es kann zur spontanen Entleerung von Blase oder Darm kommen. Unser Kollege hier hat sich da nicht lumpen lassen.«
»Hm, ich dachte, das passiert nur im Fernsehen.«
»Da passiert es zumindest weitaus öfter als in Wirklichkeit oder wird so dargestellt, als gehöre das zwingend zum Sterben dazu. Stimmt nicht unbedingt, aber die Möglichkeit besteht natürlich bei jedem von uns, unabhängig von Alter und körperlichem Zustand.«
»Prima, genau diese Information wünscht man sich, wenn man an seine eigene Sterblichkeit denkt«, kommentierte Julia und deutete dann auf den Penis des Toten. Bei ihrem flüchtigen Blick auf die Fäkalien war Julia zunächst die unnatürliche Größe des Geschlechtsorgans aufgefallen, beim zweiten Blick die Tatsache, dass er von der Eichel bis zum Schaft gespalten war.
»Und was weißt du hierüber?«, fragte sie.
»Ein Fleischpenis, so viel ist schon einmal sicher«, begann Andrea mit ihrer Erklärung. »Im Gegenteil zum sogenannten Blutpenis, der seine Größe erst während der Erektion entfaltet, sind diese Exemplare auch in erschlafftem Zustand fast so groß wie erigiert. Dafür wachsen sie dann kaum
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