Todesmelodie: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
vergessen haben könnte, aber auf die Schnelle fielen ihm keine ein.
»Nein, das ist es irgendwie noch nicht«, dachte Sabine laut.
»Also noch mal. Wir haben einen nackten Mann, der über einen längeren Zeitraum misshandelt und schließlich mit dem Messer getötet wurde.«
»Erlöst trifft es wohl fast besser.«
»Wie meinen?« Sabines Augen erhellten sich, als käme ihr eine Idee.
»Ich sagte nur, dass der Tod für ihn womöglich eine Erlösung war«, erklärte Hellmer.
»Mensch, Frank, das ist es!« Sabine stieß sich von der Wand ab und packte ihn an den Schultern. Doch Hellmer verstand nur Bahnhof.
»Keine Ahnung, wovon du sprichst«, sagte er entgeistert.
»Erinnerst du dich an den Mason-Fall? Vor zwei Jahren, drüben in Fechenheim.«
»Klar«, antwortete er, schüttelte dann aber den Kopf. Der Mordfall Jennifer Mason mochte einer der großen, unvergesslichen Fälle seiner Laufbahn sein, doch er hatte kaum Gemeinsamkeiten mit diesem schmutzigen Kellerloch.
»Ich sehe da keinen Zusammenhang, tut mir leid«, sagte er. »Und schon gar nicht mit Led Zeppelin oder der Sache mit den Augen. Sicher, dass wir denselben Fall meinen?«
»Ja doch, ich weiß es genau«, sagte Sabine Kaufmann. Ihr Atem ging schnell, und sie trommelte mit den Fingerspitzen ihrer Hände gegeneinander. Ihre Aufregung war echt, also versuchte Hellmer noch einmal angestrengt, sich an Details zu erinnern. Er war fast zeitgleich mit Sabine Kaufmann am Tatort eingetroffen, dann kam irgendwann Julia dazu. Es war ihr erster Außeneinsatz gewesen. Als sie eintraf, war Andrea Sievers schon mit der ersten Begutachtung der Toten fertig gewesen. Von Musik keine Spur. Die Beamten am Tatort hatten nichts erwähnt, und Adriana Riva war schon vor seinem Eintreffen auf dem Weg in die Klinik gewesen. Er schüttelte den Kopf: »Tut mir leid, ich kann mich da beim besten Willen an keine Musik erinnern.«
»Ist okay, dann nicht«, sagte Sabine, klang aber recht enttäuscht. »Ich hatte halt nur diesen Impuls. Damals das Mädchen, die wurde auch ewig lang misshandelt und schließlich erlöst, aber da ist noch etwas anderes, verdammt, ich komme nicht drauf.« Sie winkte ab. »Aber gut, machen wir erst einmal diesen Tatort hier fertig.«
Noch immer spukten Bilder des alten Tatorts vor Hellmers geistigem Auge herum, als sie sich wieder dem Kellerraum näherten.
»Hallo, Sabine, Frank«, begrüßte eine freundliche, wohlbekannte Stimme die beiden. In der Tür stand Andrea Sievers in ihrer üblichen Montur, in der rechten Hand hielt sie den klobigen Koffer mit ihren Utensilien.
»Guten Morgen, Andrea.«
»Habe mir gerade erbeten, hier unten ein wenig mehr Licht zu bekommen«, sagte Sievers und stellte ihren Koffer am Fußende der Matratze ab. »Bis dahin wäre es nett, wenn mir jemand leuchten könnte.«
Hellmer machte einen großen Schritt nach vorn. »Kein Problem, ist da eine Lampe drin?«
»Klar, hier bitte.«
Das Schloss klackte auf, und mit einem gezielten Griff zog Sievers eine LED-Lampe hervor, ihre neueste Errungenschaft, mit einem starken Akku und einem Kranz von zwei Dutzend reinweißen Leuchtdioden. Hellmer wunderte sich noch, wie leicht die Lampe doch sei, und zuckte erschrocken zusammen, als nach der sanften Betätigung des Schalters ein strahlend helles Licht den Raum durchflutete.
»Wow«, sagte er, »werden die Toten heutzutage durchleuchtet statt aufgeschnitten?«
»Leider nein.« Mit routinierten Handgriffen untersuchte Sievers den Körper auf Leichenflecke und leuchtete dann in die Augenhöhlen. »Sehr präzise«, murmelte sie, und Hellmer war ihr in diesem Moment äußerst dankbar, dass sie die Gelegenheit nicht zu einem ihrer derben Sprüche nutzte.
»Er hätte ihm wenigstens ein bisschen Kleingeld für die Überfahrt reinlegen können«, vernahm Hellmer im nächsten Moment. Zu früh gefreut. Irritiert blickte er die Gerichtsmedizinerin an.
»Wie? Was?«
»Na, jetzt komm, hast du in Geschichte nicht aufgepasst? Zwei Münzen: der Sold für die Überfahrt ins Totenreich, ägyptischer Totenkult.«
»Hm. War ja eigentlich klar, dass da irgend so etwas kommen musste. Würdest du nun fortfahren?«
»Ja, bin schon dabei. Mal sehen, welche Öffnung wir uns als Nächstes vornehmen«, grinste Andrea mit provokantem Augenaufschlag und griff nach ihrem Einstichthermometer, um die Lebertemperatur zu ermitteln. Sie tastete den rechten Brustkorb ab, bis sie den unteren Rippenbogen spürte, und setzte dort die spitz zulaufende Metallnadel
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