Todesmelodie: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
erledigt.«
»Ach, sei still«, entgegnete Hellmer beleidigt, dann waren sie auch schon da. Das Untergeschoss der Großmarkthalle bestand aus einem breiten, durchgehenden Gang, an dessen Seiten sich ein Lagerraum an den anderen reihte. Dazwischen ragten die Rippen der Betonkonstruktion hervor, ähnlich wie in der Etage darüber, nur weniger farbenfroh. In großen, verblassten Lettern stand über jedem Raum eine Nummer, wenige Tore waren noch intakt, einige fehlten ganz, die meisten aber waren aufgebrochen oder herausgerissen. Eine beklemmende Atmosphäre, die typisch war für leerstehende Industriebauten, ergriff sie, der modrige Schimmelgeruch und die kalte, abgestandene Luft trugen das Ihrige dazu bei.
Der Raum mit Carlo Stieglers Leiche befand sich in einem abgetrennten Bereich, und Hellmer musste einen Augenblick überlegen, ob es noch der Kellerbereich der Markthalle oder der des Anbaus war. Er kam zu dem Schluss, dass Letzteres der Fall war. Der Polizeibeamte blieb stehen und deutete auf einen Durchgang.
»Bitte sehr, da wären wir.«
Hellmer vernahm Stimmen aus dem Inneren, es blitzte zweimal, vermutlich war es die hochauflösende Kamera der Spusi, mit der man selbst unter widrigsten Lichtverhältnissen hervorragende Aufnahmen machen konnte. Er nickte Sabine auffordernd zu und betrat nach ihr den Raum.
Der abgegrenzte Keller maß etwa fünf mal sieben Meter, war unerwartet hoch, mindestens drei Meter, und knapp unter der Decke fielen Sonnenstrahlen durch die verdreckten Lamellen eines alten Wandventilators. Das ihn umgebende Glas war stumpf, so dass man nicht erkennen konnte, was sich außerhalb befand. Die Leuchtröhren der langen, rechteckigen Deckenlampe waren schwarz angelaufen, das Milchglas darum nur noch in Bruchstücken erhalten. Softair, dachte Hellmer, der schon beim Durchschreiten der Halle überall auf dem Boden die kleinen bunten Kugeln wahrgenommen hatte, die darauf hinwiesen, dass Jugendliche sich hier mit Druckluftwaffen im Häuserkampf übten. Rechts von der Tür war in die Wand ein Regal aus aufgequollenem Holz eingelassen, in dem neben vergilbten Papieren zerdrückte Bierdosen, eine leere Ravioli-Dose, diverse Pillen, gebrauchtes Fixerbesteck sowie ein paar leere Plastiktütchen lagen, in denen sich mit Sicherheit einmal Drogen befunden hatten. Überall flogen zerfledderte Zeitschriften herum, zum Teil Pornomagazine, hauptsächlich aber alte Illustrierte und Tageszeitungen.
Ein batteriebetriebener Radiorekorder dudelte leise vor sich hin. Klang nach dem neuen Rocksender, dachte Hellmer, den er unlängst für sich entdeckt hatte. Er wäre jedoch nie auf die Idee gekommen, an einem Tatort Radio zu hören. Auf dem Boden unterhalb des Regals lagen ein umgestürzter Schrank und daneben ein Drehstuhl mit zerfleddertem Polster. Überall im Raum waren Zigarettenkippen verstreut, dazwischen Whiskey- und Wodkaflaschen, und die beiden Kollegen der Spurensicherung vollbrachten einen wahren Eiertanz, um sich durch den Raum zu bewegen, ohne dabei etwas zu verändern, was sich später als wichtig erweisen konnte.
»Verdammt, das sind bestimmt dreihundert Filter«, sagte eine Hellmer nicht bekannte Frauenstimme.
»Von jedem die DNA und dann wahrscheinlich mit dem Ergebnis, dass sie nichts mit dem Toten zu tun haben«, seufzte eine Hellmer ebenfalls nicht bekannte Männerstimme. Beide Kollegen der Spusi trugen die typischen weißen Schutzanzüge und hatten bereits zahlreiche Markierungen plaziert. Es blitzte erneut, ein kurzer Lichtimpuls, der die tristen Farben des Raumes für einen Sekundenbruchteil kräftig hervorhob.
Erst jetzt erblickte Hellmer den Toten. Gegenüber der schmalen Wand mit dem eingelassenen Regal auf einer breiten, abgewetzten Matratze – ursprünglich wohl einmal weiß, doch nunmehr in einem schmutzigen Graugelb – lag Carlo Stiegler. Nackt, auf dem Rücken, die Arme von sich gestreckt, mit den Füßen in Richtung des Raumes. Von seiner Kleidung war nichts zu sehen, Decke oder Kissen gab es auch nicht. Der Körper war übersät von verschieden großen Flecken in unterschiedlichen Farben, teils waren es Schürfwunden, teils Hämatome, die auf harte Schläge hindeuteten. Hellmer schluckte, denn er kannte diese Art von Verletzungen. Auch ohne Professor Bocks Analyse wusste er, dass der junge Mann über Tage hinweg misshandelt worden sein musste. Sein Blick wanderte über den Oberkörper in das Gesicht, welches noch immer den Ausdruck gepeinigten Entsetzens trug. Erst nach
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