Todesmelodie: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
kurz, ob er vielleicht doch aussteigen und einfach mal nach oben fahren sollte. Doch er entschied sich dagegen. Wenn die A5 frei war, wovon um diese Uhrzeit auszugehen war, konnte er in zwei Stunden in Nordhausen sein. Dort waren solvente Besucher auch unter der Woche bis Mitternacht willkommen, er durfte dann allerdings auch keine weitere Sekunde mehr verschwenden.
Time is cash, time is money heißt es doch bei BAP so treffend, erinnerte sich Holger Kellermann.
Tja, Pech gehabt, Vivien, dachte er und trat aufs Gas.
Donnerstag
Donnerstag, 7.15 Uhr
J ulia Durant hatte eine ausgesprochen kurze Nacht hinter sich und fühlte sich wie gerädert. Gerade rechtzeitig zu den Nachrichten war sie am Vorabend nach Hause gekommen, klitschnass, denn ein heftiges Gewitter entlud sich über der Stadt. Wenigstens kühlt es dann etwas ab, hatte sie gedacht und es sich mit einer Feierabendzigarette und einem eiskalten Bier auf der Couch gemütlich gemacht. Nach zweieinhalb Stunden Dokus und Talkshows, durch die Julia sich wahllos zappte, um dabei festzustellen, dass ein überdimensionaler Flachbildschirm manche Sendung nur noch überflüssiger erscheinen ließ, hatte sie den Computer hochgefahren und ihre E-Mails abgerufen. Keine Nachricht von Susanne, schade, dann vielleicht telefonieren? Allerdings hatte ein Blick auf die Uhr die Kommissarin schlussendlich davon abgehalten, zum Apparat zu greifen.
Nicht mehr heute, war ihr müdes Urteil ausgefallen, morgen ist auch noch ein Tag.
Gegen Mitternacht schließlich, nach einem weiteren Bier, aber dafür keiner zweiten Zigarette, hatte Julia sich ins Schlafzimmer verzogen. Alleine, wie üblich, aber sie hätte sich derzeit auch niemanden vorstellen können, mit dem sie das Bett hätte teilen wollen.
Dann war ihr Alina in den Sinn gekommen, ihre gute Freundin und geduldige Psychologin, wobei die beiden Frauen sich in diesem speziellen Fall auf die Bezeichnung »Coach« geeinigt hatten. Und ja, sie waren hin und wieder mehr als nur Freundinnen gewesen, aber nie in diesem Bett, und man konnte ihre erotischen Begegnungen noch an einer Hand abzählen. Das letzte Mal, es war erst einige Wochen her, hatte Julia selbst die Initiative ergriffen. Es war eine jener Phasen gewesen, in denen sie selbst mit ihren Beklemmungen zu kämpfen hatte und Bergers bevorstehender Bandscheibenvorfall sich durch einen launischen, genervten und kränklichen Chef bereits ankündigte, was im Büro ziemlich auf die Stimmung schlug. Es waren Zeiten wie diese, in denen Julia schwermütig feststellte, dass die wichtigsten Menschen nicht greifbar waren, ihr Vater in München und Susanne in Frankreich. Zeiten, in denen sie es nervte, wenn Hellmer und Kaufmann lachend im Büro saßen wie verliebte Schulkinder, und dann war da ja auch noch die Sache mit Doris’ Schwangerschaft. Kurzum: Sie fühlte sich ausgebrannt und einsam, eben wie jemand, dem der letzte Zug vor der Nase weggefahren war.
Früher wäre dies kein Problem gewesen, schon gar nicht in Sachsenhausen; rein in ein enges Top, welches ihre üppigen Kurven betonte, und ab in die nächste Kneipe, wo sie sich einen gutaussehenden Kerl aussuchen konnte, dessen Name sie am Morgen danach längst wieder vergessen hätte. Aber das Verlangen nach Männern war getrübt, beschmutzt und verletzt durch Thomas Holzer, dem Julia Durant mehr als ein Mal gewünscht hatte, dass er im Knast am eigenen Leib zu spüren bekäme, was er ihr angetan hatte. Sie durfte sich sogar sicher sein, dass er das würde, aber im Grunde brachte sie das nicht weiter. Wenn sie körperliche Nähe suchte, ein wenig Geborgenheit, wer blieb ihr denn schon außer Alina? Aber im Gegensatz zu ihrer Freundin war Julia Durant nicht lesbisch, sie war sich ja noch nicht einmal sicher, ob sie sich bereits als bisexuell bezeichnen sollte. Und ob sie das überhaupt wollte.
Lange bevor der Radiowecker um sechs Uhr fünf zum rockigen Morgenappell ertönte – Julia hatte die Zeit extra so eingestellt, dass sie nicht von den Nachrichten geweckt wurde –, war sie bereits auf den Beinen gewesen, hatte lange und ausgiebig geduscht, eine große Tasse Kaffee getrunken und zwei Aufbackbrötchen in den Ofen geschoben. Beim Schminken hatte Julia Durant sich genau gemustert, du siehst ganz schon zerschlagen aus, meine Liebe, hatte sie sich dabei gesagt, an den Mundwinkeln und neben den Augen entdeckte sie außerdem einige neue Falten, denen sie unbedingt mit einer Gesichtsmaske zu Leibe rücken musste. Alles in
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