Todesmuster
behutsam. Niemand sagt was. Mein Gott.
»Können Sie uns das erklären?«
»Das ist Peter Walcher, mein Bruder. Wie Sie sehen, liegt er im Wachkoma, seit vielen Jahren. Ich pflege ihn.« Seine Züge bleiben friedlich.
»Und das können Sie?«
Er wendet den Kopf. »Wusste Ihr Kollege das nicht?« Spöttisch. »Ich habe nach dem Knast und der Therapie damals eine Ausbildung als Krankenpfleger gemacht und auch länger gearbeitet. Ja, ich kann das. Und ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn wir ihn hier jetzt allein lassen könnten.«
Können wir. Beckmann kommt mit Folien aus einer Tür, geht nach draußen.
»Sie können natürlich nicht überall sein, Herr Walcher, aber ich schlage vor, dass wir zusammen die einzelnen Räume aufsuchen, in denen die Kollegen sind. Uns wäre Ihre Anwesenheit dort sehr recht.« Ist ihm egal, er kommt gleichgültig mit. Zirner lugt aus einer Tür, gibt Handzeichen. Er zeigt auf einen Computer, auf dem Bildschirm Pornos mit Tieren, eine Blonde in roten Pumps treibt es mit einem Schäferhundrüden.
»Von dem Zeug ist einiges da drauf.«
»Ist das strafbar?«, ausgesprochen lässig, er steckt die Hände in die Taschen.
»Ist es, Herr Walcher.«
»Mit Ihrer Leiche da oben habe ich nichts zu tun. Dazu«, er zeigt auf den Bildschirm, »sage ich nichts.« Er klingt völlig selbstverständlich, ohne Peinlichkeit, geht zurück. Wenn wir das übersehen, könnten wir es vielleicht taktisch nutzen. Neben dem Rechner Bücherregale bis zur Decke, auf den Tischen Stapel. Was liest man denn so? Sexualität und Angst. Aha. Medikamentöse Indikation bei Wachkomapatienten. Na, klar. Entwicklungspsychologische Erklärungsansätze bei Sexualstraftätern – Gesprächsprotokolle, Prof. Dr. Dr …. Die sexuelle Perversion aus Sicht der Psychoanalyse. Mein lieber Mann.
»Haben wir Datenträger dabei?« Zirner nickt. »Dann zieh es erst mal drauf. Wir entscheiden später, was wir damit machen. Und sag Beckmann, er soll die Bücher hier fotografieren. Schon eigenartig, dass der so was liest.«
Der Hundeführer kommt in die Diele, der Hund bei Fuß. Kann sich im Computer ja mal ansehen, wie gut es seine Kollegen aus der Filmbranche haben. Pohlmann kommt, auf der ausgestreckten Hand ein Stück Shit. Höchstens zwei Gramm. Fragender Blick.
»Vergiss es. Meinetwegen soll er sich ab und zu mal eine ziehen. Vielleicht kommt uns unsere Großzügigkeit noch zugute.« Zustimmung, er geht wieder. Pohlmann raucht wahrscheinlich selber mal eine. Ernst kommt von draußen, sieht den Wink, kommt mit. Walcher sitzt in der Küche, raucht. Riecht gut.
»Herr Funk wird Sie gleich noch ausführlich vernehmen, Herr Walcher, aber so im Vorgespräch: Wer könnte den anonymen Hinweis auf Sie geschrieben haben?«
Er spielt mit seinen Fingernägeln, lässt die Selbstgedrehte zwischen Zeige- und Mittelfinger.
»Keine Ahnung. Mich kennt hier eigentlich keiner. Von der Sache damals kann keiner was wissen. Ich habe mit denen im Dorf wenig zu tun. Von der Sache mit Peter wissen die überhaupt nichts, sollen sie auch nicht. Aber deswegen kann ich ja auch nie länger als ein paar Stunden weg.«
»Wie schaffen Sie das eigentlich? So ganz allein?«
»Angehörige haben wir nicht mehr. So ganz allein bin ich aber nicht. Von Zeit zu Zeit kommt sein behandelnder Arzt aus der Stadt und wir besprechen, wie wir weiter vorgehen. Und bevor Sie mich für den barmherzigen Samariter halten: Ich werde dafür bezahlt. Man kann sogar sagen, ich lebe von meinem kranken Bruder. Ich arbeite nämlich nicht und bin als sein Pfleger anerkannt. Außerdem hatte er eine Unfallversicherung, die ich verwalte. Also …« Zwei tiefe Lungenzüge, er spuckt einen Tabakrest aus. Mal ein bisschen locken.
»Was machen Sie nachts im Wald?«
Er sieht hoch, sagt nichts, überlegener Zug um den Mund. »Ich seh mir die Sterne an.« Ohne den Blick abzuwenden. Wieder Pause. Provozierendes Spielchen mit der Unsicherheit. Der genießt das. »Ich seh mir wirklich die Sterne an.« Er steht auf. »Kommen Sie mit.«
Er geht die Treppe voraus, oben ein dunkler Gang, letzte Tür rechts, Wendeltreppe, eng, noch eine Tür. Der Raum ist klein, Spitzdach, auf beiden Seiten Glaselemente. An den Wänden Fotos von Sternen, sehen selbst gemacht aus. Ernst sieht sich um. Das größere Teleskop ist mit einem Rechner verbunden, daneben eine Kamera. Ganz schöner Brummer. Das sind doch bestimmt zwei Meter. Er drückt einen Schalter, die Glaselemente surren zur Seite. Über der
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