Todesmuster
Marker.«
»Zimmer 268, Jugendamt. Die rechte Treppe in den zweiten Stock, dann rechts durch die Glastür, nächster Gang links.« Ist ja ohne Sextant kaum zu schaffen. Auf dem Flur vor einigen Zimmern Leute auf Stühlen, Wartegesichter. 268, Klopfen, ist abgeschlossen. Aus 267 kommt ein Schwindsüchtiger, brauner Pullover, braune Trevirahose, Hintern blank gesessen.
»Tag, ich wollte zu Frau Marker.«
»Wenn sie nicht in ihrem Zimmer ist, ist man vielleicht schon zu Tisch.« Mit einiger Verzögerung. Danke. Er schlurft ab. Warten? Durch die Glastür mit federndem Gang eine Grauhaarige. Igelfrisur, Lederhose, Halstuch, feurige Augen. Was ist denn das für ein Zeichen auf dem Sweatshirt? Keine Ahnung.
»Herr Kirchenberg?« Forsch, nicht sonderlich freundlich.
»Guten Tag, ja, Konstantin Kirchenberg. Haben Sie mich erwartet?«
»Das auch, wir hatten ja schließlich miteinander telefoniert. Aber Polizisten erkenne ich auch so drei Meilen gegen den Wind.« Ohne einen Hauch Humor. War wohl ernst gemeint. Glück gehabt. Sie schließt auf, drinnen Aktenchaos, an der Wand Plakate. Gewerkschaft, eine Ausstellung moderner Kunst, Che in Pop-Art, aber mit rotem Stern. Sie bietet einen Stuhl an, immerhin.
»Es geht um einen Fall von 1973, hatten Sie gesagt. Der Junge hieß Birger Gabriel, richtig?«
»Genau, so hieß der.«
»Ich hatte Ihnen schon gesagt, dass wir ohne Beschluss solche Informationen nur sehr ungern herausgeben. Ich persönlich bin ohnehin sehr vorsichtig, die Polizei in solchen Angelegenheiten zu unterstützen. Da wird häufig viel kaputtgemacht.« Eine Altrevoluzzerin, das hat noch gefehlt.
»Kann ich verstehen, Frau Marker, aber wir ermitteln in einem Mordfall, und Birger Gabriel könnte uns vielleicht Informationen geben.« Sie wartet, prüfender Blick, Misstrauen. Hinter ihrer Stirn arbeitet es. »Es geht um einen Mord in einer Mine. Vielleicht haben Sie davon gelesen.« Auf die Sahne hauen. »Nach unseren Spuren ist dort ein Mensch über mehrere Tage gefesselt, geknebelt, bestialisch getötet und zerteilt worden. Gabriel könnte uns möglicherweise Hinweise geben.«
Sie faltet die Hände, ändert die Sitzposition nicht. »Ich habe mir die Akte aus dem Archiv noch nicht kommen lassen, wenn wir die nach dreißig Jahren überhaupt noch finden. Aber ich habe in unseren Jahrbüchern nachgesehen, da steht die Kurzfassung. Außerdem kann ich mich schwach daran erinnern. Es war einer meiner ersten Betreuungsfälle.«
»Vor dreißig Jahren haben Sie hier schon gearbeitet? Hätte ich nicht gedacht.«
Sie schlägt die Lider nieder, atmet tief durch, lehnt sich zurück, die Nasenflügel beben. War wohl ein Fehler.
»Wir wollen uns so was doch ersparen, Herr Kirchenberg, ja.« Ohne Lippenbewegung. Sie kommt nach vorn. »Birger Gabriel war bei einer Familie Schmücker in Ingsen als Pflegekind. Die hatten, glaub ich, noch zwei eigene und später auch noch hin und wieder Pflegekinder. Da war er aber nur einige Wochen oder Monate, es gab Probleme. Danach ist er im März 75 in ein Heim nach Hannover gekommen. Damit war er aus unserer Verantwortung entlassen.«
»Daran können Sie sich wirklich erinnern? Ernsthaft?« Sie prüft kurz.
»Ich sagte Ihnen bereits, es war einer meiner ersten eigenen Betreuungsfälle. Außerdem war er auffallend. Wenn ich mich richtig erinnere, hatte er eine Hautkrankheit und deshalb keine Haare.«
»Warum ist er in eine Pflegefamilie gekommen. War er Waise?«
»Vermutlich war es das Übliche. Ich glaube, ein Elternteil musste in den Knast. Ist das wichtig?«
»Nein, eigentlich nicht. Ich möchte ihm nur zwei, drei Fragen stellen. Sie haben mir vielleicht weitergeholfen. Können Sie mir den Namen des Heimes aufschreiben? Vielen Dank.« Sie bleibt sitzen, reicht den Zettel. Am Türgriff innen ein Schild: Do not disturb, Interconti.
»Ach, Herr Kirchenberg.« Sie lehnt sich nach vorn. »Wer ist eigentlich ermordet worden?«
»Wer? Keine Ahnung. Wir haben ihn noch nicht gefunden. Ein Mann, mehr wissen wir nicht. Ein Mann mit langen, blonden Haaren. Aber wir haben so viel von seinem Blut in unseren Bottichen, dass er nicht mehr leben kann.« Das saß.
Sie sieht zur Seite aus dem Fenster.
»Wiedersehen.«
Superman von 268 kommt den Flur lang, links Akten, rechts eine Tasse mit Teebeutel. Na denn, Prost.
12 Uhr 58
Rod gibt mal wieder alles: Tonight’s the night. Der Nachrichtensprecher beendet seine Mühen. Im Irak die üblichen Toten, ein Amerikaner, zehn Iraner. Und wir machen
Weitere Kostenlose Bücher