Todesmut - Gardiner, M: Todesmut - N.N. (Jo Beckett 4)
Bildschirm erschien ein Foto.
Anfang vierzig, attraktiv wie ein Kinostar. Ein nordischer Schurke aus einem James-Bond-Film. Schwerlidrige Augen, schmale Lippen, Adlerblick. Das Haar wie Gordon Gekko nach unruhigem Schlaf, dazu all die Arroganz des Börsenhais, aber ohne seinen Charme und surrealen Humor. Der Eismann kommt.
»Hält große Stücke auf sich, oder?«
Tang neigte den Kopf. »Lässt im Büro bestimmt Wagner laufen.«
Evan nahm das Kamerafoto. »Derselbe. Wer ist das?«
Tang öffnete den Mund zum Sprechen, doch dann warf sie ihr durch die Buddy-Holly-Brille einen langen Seitenblick zu. »Die Bemerkung über Wagner kommt aber nicht in deine Story.«
»Schon gut. Erzähl mir von ihm.«
Das Telefon auf dem Schreibtisch schrillte. Evan schrak zusammen. Sie waren die einzigen Leute in einem Büro voller leerer Schreibtische.
Tang hob ab. »Ja?« Sie machte ein verblüfftes Gesicht. Nachdem sie aufgelegt hatte, steuerte sie auf den Empfang zu und forderte Evan mit einer Geste auf, ihr zu folgen. »Ferd Bismuth ist hier.«
Als sie vorn ankamen, reichte der Schalterbeamte Jos Nachbarn gerade eine Besucherplakette.
Evan flüsterte: »Sieht aus, als wär gerade sein Hündchen in den Brunnen gefallen.«
Ferd hatte eine 49er-Mütze auf und wirkte äußerst mitgenommen. In einem Babytuch vor der Brust trug er einen Kapuzineraffen. Das Tier wirkte wie ein kleiner Alien-Pilot in der Kanzel, der Ferd vielleicht sogar steuerte.
Ferd flitzte um den Schalter herum. »Tina ist in Jos Haus. Ich konnte nicht schlafen. Ich mach mir solche Sorgen.« Er streckte ihnen eine Dose Cupcakes hin. »Für euch beide.«
»Danke.« Tang nahm die Dose und winkte ihn zu einem Sofa im Pausenraum. »Dort kannst du kurz warten.«
Evan hatte sich inzwischen einen Cupcake genommen. Tang wollte ebenfalls zugreifen, doch nach einem Blick auf den Affen, der Schokostreusel im Gesicht hatte, zog sie die Hand wieder zurück. Evan aß weiter. Sie war so hungrig und müde, dass es ihr nichts mehr ausmachte. Der Affe gaffte sie an, mit einer pompösen Miene wie ein visionärer Schamane, der ihr Unheil zu prophezeien hatte.
Ferd wippte von einem Fuß zum anderen und wollte nicht gehen. Tang deutete mit dem Finger hinüber. »Bin gleich da. Ab mit dir.«
Widerstrebend stapfte er in den Pausenraum.
Tang und Evan setzten sich wieder an den Computer mit dem Foto des Mannes am Steuer des Volvos.
»Also, wer ist das?«, fragte Evan.
»Dane Haugen.«
»Aha.«
»Ein Finanzspezialist. Hat einen Abschluss in Mathematik und ein Talent für Finanzbranchen, die weitgehend un reguliert sind. Hypothekenschuldverschreibungen, Derivate. Geht immer so vor, dass er sich mitten in einer spekulativen Blase platziert und Papiere verkauft, von denen er genau weiß, dass sie Schrott sind. Sammelt Geld von den Anlegern ein – oft von Durchschnittsleuten über ihre Pensionsfonds – und räumt dabei selber Honorare in Millionenhöhe ab.«
»Sprichst du jetzt von Aktienbetrug oder von ganz normalen Wall-Street-Manövern?«
»Von Taschenspielertricks, allerdings in großem Maßstab. Der Kerl schiebt das Geld so schnell hin und her, dass nie mand mitkommt, streicht bei jedem Abschluss Gebühren ein, wettet gegen seine eigenen Kunden – alles, womit er sich die Taschen füllen kann.«
Evan fixierte das Foto. »Ein Krimineller also.«
»Und eiskalt. Weißt du, was mir meine Quelle über ihn erzählt hat? Er war auf so einer Himalajaexpedition, wo Anfänger zum Gipfel raufgeschleift werden. Hat ein Schweinegeld hingelegt, um den Annapurna zu besteigen. Dabei ist er ohne Bedenken oder ein freundliches Wort an zwei sterben den Kletterern vorbeigestiefelt. Später hat er der BBC ein Interview gegeben. ›Sie kannten das Risiko und die Konsequenzen. Zu erwarten, dass unser Team den Gipfelanstieg aufgibt, um Leute zu retten, die ihre Kräfte falsch einge schätzt haben, ist unverschämt.‹«
»Netter Typ.«
»Er ist der Drahtzieher. Er hat die Leute von Edge Adventures ausgeschaltet.«
»Hat er auch die jungen Leute bei ihrer Geburtstagsparty am Strand entführt? Warum? Und was hat Ragnarok damit zu tun?«
»Gute Frage.«
»Ich ahne fast, dass du die Antwort kennst.«
Ferd erschien in der Tür des Pausenraums. »Amy?«
Tang wandte sich kurz um. »Noch eine Minute.«
»Ich habe gehört, wie du Ragnarok erwähnt hast.«
Tang spannte die Schultern an. »Ach?«
»Welche Verbindung besteht zwischen Jos Verschwinden und der nordischen Mythologie?«
»Auf so
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