Todesmut - Gardiner, M: Todesmut - N.N. (Jo Beckett 4)
frischen Luft ausgesetzt werden, weil sie sonst vertrocknen und absterben konnten. Jo wollte Noah eine Knochentransplantation oder gar eine Amputation ersparen. Also gab es keine andere Wahl. Sie mussten schnell handeln, bevor Muskelkrämpfe einsetzten und die Handhabung des Beins erschwerten.
Doch das Einrichten der Fraktur war gefährlich und kompliziert. Sie mussten mit äußerster Behutsamkeit vorgehen. Selbst geübten Fachleuten konnte es passieren, dass sie mit scharfen Bruchstellen von Knochen aus Versehen in Nerven oder eine Arterie schnitten.
Und der zerstörte Innenraum des Partymobils war alles andere als eine sterile Umgebung.
Bevor Jo etwas sagen konnte, hörte sie Rufe.
»O mein Gott.« Peyton war zum Fenster gekrochen. Auf halbem Weg nach draußen war sie erstarrt und fixierte entsetzt Friedrichs Leiche. »Er ist tot, o Gott.«
Kyle Ritter bewegte sich auf sie zu. »Sei still.«
»Er ist tot .«
»Und sein Komplize treibt sich irgendwo hier rum. Willst du, dass er wegen deinem Geplärr auf uns anlegen kann?«
Peyton drückte die Augen zu. Vorsichtig, um ihr gebro chenes Schlüsselbein zu schonen, bugsierten Kyle und Dustin sie durchs Fenster. Sie sank auf den Hintern und presste die Faust vor den Mund. Lautlos weinend schaukelte sie hin und her.
Kyle beobachtete sie kurz, und als er sich davon überzeugt hatte, dass sie nicht wieder zu schreien anfing, ging er zur Vorderseite des Hummer. Er ließ sich auf Hände und Knie nieder und schob sich langsam vorwärts, um unter den Wagen zu spähen, ohne die Leiche zu berühren.
»Was machen Sie da?«, fragte Autumn.
»Er hatte eine Waffe. Die brauchen wir.«
Kyle suchte weiter, wühlte unter Steinen, schaufelte Erde unter der Motorhaube heraus. »Wie wär’s mit ein bisschen Hilfe?«
Autumn rührte sich nicht. Wie gebannt starrte sie den Toten an.
»Autumn«, mahnte Jo. »Hol was, um ihn zuzudecken.«
Die junge Frau schaute sie nur leer an. Sie schien Jos Worte kaum registriert zu haben. Sie hatte keinen körperlichen Schock, sondern einen emotionalen. Sie war wie gelähmt.
»Na los, das ist das Beste.«
Ohne äußere Regung packte Autumn ein Kapuzenshirt und kroch durch das Fenster. Sie breitete es über Friedrichs Gesicht.
»Lark, hast du einen Erste-Hilfe-Kasten gefunden?«, fragte Jo.
Aus dem hinteren Teil der Limousine kam Larks Stimme. »Ich suche noch.«
Gabe deutete mit dem Daumen über die Schulter wie ein Tramper. Er wollte unter vier Augen mit Jo reden. An sich war das in dem engen Fahrzeug lächerlich, doch sie rückten einen Meter zur Seite und unterhielten sich flüsternd.
»Wir können den Bruch einrichten, aber es wird verdammt schwer, ihn hier zu stabilisieren«, murmelte Gabe.
»Ich mach die Umgebung so sauber wie nur irgend möglich.«
Vor Jo ließ Gabe seine freundliche Keine-Sorge-Maske fallen. »Seine Verletzungen sind nicht das Hauptproblem. Die Situation ist das Hauptproblem.«
»Ich weiß.« Sie warf einen Blick durchs Fenster.
Die Wände der Schlucht erhoben sich über ihnen zu einem V. Überall Auswaschungen, nackter Stein, Felsnasen. Die Oktobersonne war bereits hinter der westlichen Kante der Schlucht versunken und tauchte die Föhren am Grat in orangefarbenes Licht. Der Fluss mit seinem Granitufer lag im Schatten. Auch die Temperatur war merklich gesunken. Und am blauen Himmel zogen immer dichtere Haufenwolken auf.
Die einzige Hilfe für Noah war, ihn in ein Krankenhaus zu bringen. Und die einzige Hilfe für die anderen war, sie zurück in die Zivilisation zu führen, wo sie auf den Schutz der Polizei hoffen konnten.
Gabes Gesicht war ernst. »Wenn wir in den nächsten paar Stunden nicht hier wegkommen, überlebt von den Kids vielleicht kein Einziger.«
17
Auf halbem Weg nach oben fand Von das A K - 47. Er griff nach dem Sturmgewehr wie nach der besten, kältesten, belebendsten Flasche Whiskey der Welt und drückte es an die Brust. Jeder Zentimeter an seinem Körper tat ihm weh und erinnerte ihn mit nagender Eindringlichkeit daran, was ihm diese kleinen Scheißer angetan hatten.
So was ließ er sich nicht bieten.
Er musste die Sache in Ordnung bringen, bevor Haugen eintraf. Wenn er das nicht schaffte, kam Haugen womöglich zu dem Schluss, dass er entbehrlich war.
Wie der Tote im Kofferraum des Hummer. Und dieser Grier.
Er setzte sich auf die bröckelige Erde, um zu verschnaufen und das Gewehr zu inspizieren. Als der Hummer abtauchte, hatte es anscheinend genau den gleichen Entschluss gefasst wie
Weitere Kostenlose Bücher