Todesnacht - Booth, S: Todesnacht - Scared to Live
anderen Worten, einer völlig fremden Person.«
Fry fing an, ruhelos im Büro umherzuwandern. Sie ging zum Fenster und wieder zurück zu ihrem Schreibtisch, als würde es ihr helfen, die Dinge klarer zu sehen, wenn das Licht aus einer anderen Richtung einfiel.
»Falls es wirklich so war, hat sie damit Lindsay Mullens Schicksal besiegelt«, sagte sie. »Es sieht doch so aus, als hätte Rose Shepherd bereits unter Beobachtung gestanden, als sie an diesem Tag nach Matlock Bath fuhr, nicht wahr? Und derjenige, der sie beobachtet hat, muss auch Lindsay nach Hause gefolgt sein.«
»Warum hat Miss Shepherd ausgerechnet mit Lindsay das Gespräch gesucht?«
»Warum hat sie überhaupt das Gespräch mit jemandem gesucht? Wer, in aller Welt, schnappt sich schon im Café wildfremde Menschen und verwickelt sie in eine Unterhaltung?«
»Betrunkene und Verrückte«, sagte Murfin.
»Genau. Und Rose Shepherd war keines von beiden.«
»Na ja, ein bisschen seltsam muss sie schon gewesen sein. Diese Frau war eine Einsiedlerin mit einem Faible für Geheimniskrämerei.«
»Das stimmt. Dazu muss man nicht völlig verrückt sein«, sagte Cooper. »Rose Shepherd hatte sich so lange zurückgezogen, dass sie sich vielleicht nur ein paar Minuten lang ganz normal unterhalten wollte, auch mit einem völlig fremden Menschen. Eigentlich ist ein Fremder sogar die bessere Wahl. Er weiß nichts über einen oder über die eigene Vergangenheit. Also hat er auch keine vorgefasste Meinung über einen.«
»Wenn sie so verzweifelt war, warum hat sie sich dann nicht mit Eric Grice unterhalten? Jedes Mal, wenn er in Bain House war, hat Miss Shepherd sich zurückgezogen und sich geweigert, sich von ihm in ein Gespräch verwickeln zu lassen.«
»Vielleicht hatte sie Angst, sie würde nicht mehr aufhören können, wenn sie erst mal angefangen hatte. Und das konnte sie einfach nicht riskieren.« Cooper sah zu ihr auf. »Du weißt doch selber, wie es ist. Wenn man irgendwas auf dem Herzen hat und einen guten Zuhörer findet, sprudelt alles raus.«
»Tatsächlich?«
»Oh, na ja – bei dir vielleicht nicht, Diane.«
»Danke«, sagte sie und meinte es auch so.
»Aber glaub mir, bei vielen Leuten ist das so. Es kann durchaus passieren, dass man einem mitfühlenden Fremden, der bereit ist, einem zuzuhören, alles erzählt. Ich glaube, Rose Shepherd hatte solche Angst davor, irgendwelche Details über sich preiszugeben, dass sie es für ein zu großes Risiko hielt, sich mit anderen Leuten zu unterhalten. Deshalb hat sie es vermieden. Ganz einfach. Das ist so ähnlich wie bei einem trockenen Alkoholiker, der vermeidet, wieder etwas zu trinken. Das Problem ist nicht das eine Glas – das Problem ist, wohin es führen wird.«
Fry begann erneut, im Zimmer auf und ab zu gehen. »Okay. Also, was hatte sie zu verbergen?«
»Tja«, sagte Cooper, »das weiß ich auch nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es ist, so allein zu sein, sich so von allen abzuschotten. Wie kann man das nur tun?«
»Warum fragst du das mich ?«
Cooper zog eine Augenbraue hoch, als er ihren Tonfall hörte, und blickte sich im Zimmer um. »Außer Gavin ist sonst niemand hier, Diane.«
Fry schwieg eine Zeit lang und starrte zu Boden. »Das führt zu nichts. Statt all diese ›was wäre, wenn‹ müssen wir langsam anfangen, Antworten zu finden.«
»Ich finde, das klingt gut«, sagte Murfin. »Und wann fangen wir an?«
»Gavin …«
»Entschuldige.«
»Tja, eine Sache ist klar«, sagte Cooper. »Es ist schwierig, eine Verbindung zwischen dem Brand und dem Mord zu erkennen. Und jetzt noch Simon Nichols – wie passt er ins Bild? Wenn er nicht bereits vor Dienstag gestorben ist, könnte er vermutlich in beide Ereignisse verwickelt sein.«
»Moment mal«, unterbrach ihn Fry. »Soweit wir wissen, lagen fast vierundzwanzig Stunden zwischen den beiden Ereignissen. Im Fall von Rose Shepherd hat uns der Gerichtsmediziner einen ziemlich großen Zeitrahmen für ihren Tod genannt – zwischen dreißig und vierzig Stunden. Aber lass uns eine Sache klarstellen: Der Mord in Foxlow ist zuerst geschehen, auch wenn das Opfer erst nach dem Brand gefunden wurde.«
»Vielleicht war Lindsay Mullen einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Wahrscheinlich hat sie Nichols – oder wer auch immer Rose Shepherd beobachtet hat – zu Gesicht bekommen. Gut genug zu Gesicht bekommen, um ihn später identifizieren zu können.«
»Deshalb hat er beschlossen, sie umzubringen, bevor sie irgendjemandem eine
Weitere Kostenlose Bücher