Todesnacht - Booth, S: Todesnacht - Scared to Live
Passanten keinerlei Beachtung, obwohl sie kaum Platz hatten, um an ihm vorbeizugehen, ohne auf die Straße ausweichen zu müssen.
Als Lazar zum Rutland-Pub hinübersah, schienen die Straßenlaternen noch dunklere Schatten zwischen den Falten zu werfen, die wie Messerwunden in sein Gesicht eingekerbt waren.
Die Kamera, die jede Bewegung von Lazar Zhivko filmte, hatte diesen Gesichtsausdruck bereits viele Male eingefangen.
Er wurde auf den Standfotos verewigt, die an Kopien seiner Akte geheftet und an Kriminalpolizisten im Überwachungseinsatz verteilt wurden. Ein Beobachter hatte ihn als den Gesichtsausdruck eines Mannes beschrieben, der gelernt hatte, immer mit dem Schlimmsten zu rechnen.
»Ich würde wirklich verdammt gerne wissen, wo der Bruder hinglotzt.«
Die beiden Polizisten im Überwachungseinsatz überkam langsam Müdigkeit. In dem Lagerraum war es stickig, und sobald sich einer der beiden von den Kartons erhob, auf denen sie saßen, stieg Staub in die Luft auf. Sie hatten es den ganzen Nachmittag nicht gewagt, das Schiebefenster auch nur einen Spalt breit zu öffnen, da sie fürchteten, dadurch ihr Versteck preiszugeben. Selbst jetzt, wo es bereits dunkel wurde, ließen sie größte Vorsicht walten.
»Er glotzt auf jeden Fall nicht uns an.«
»Bist du dir da sicher?«
»Keine Sorge, er hat uns nicht gesehen.«
»Vielleicht hat er irgendjemanden auf dem Bürgersteig auf dieser Straßenseite entdeckt. Wir sollten jemanden anfordern, der das draußen überprüft.«
»Nein, das kann ich mir nicht vorstellen.«
»Tja, dann muss er den Herrenbekleidungsladen nebenan anglotzen. Ich weiß, das Schaufenster ist ziemlich seltsam, aber so schlimm finde ich es auch wieder nicht, dass er deshalb gleich so glotzen muss.«
Anton Zhivkos Gesichtsausdruck war viel schwieriger zu deuten als der seines Bruders. Sein Blick wirkte resigniert, aber dennoch verächtlich, als ob er wüsste, dass Gefahr nahte, aber beschlossen habe, nicht die Flucht zu ergreifen, sondern ihr furchtlos gegenüberzutreten.
Der Blickwinkel der Kamera änderte sich, als Lazar sich schließlich von der Ladentür entfernte. Er trat auf den Bürgersteig, packte den Rollstuhl seines Bruders an den Griffen
und löste die Fußbremse. Die Kamera schwenkte langsam und folgte den beiden Männern, als sie sich auf den Weg zu einem weißen Renault Kangoo machten, der vor der Bäckerei geparkt war.
»Was auch immer es war, er hat es aus den Augen verloren. Jetzt blickt er nur noch missmutig drein. Er sagt irgendwas zu Lazar. Das ist das Problem mit Stummfilmen wie diesem – die Untertitel fehlen. Schade, dass die Techniker kein Mikrofon am Rollstuhl befestigen konnten, damit man was hört.«
»Wie hätten sie das denn machen sollen? Anton verlässt das Ding nur dann, wenn er ins Bett oder auf die Toilette geht. Außerdem, wie gut ist dein Bulgarisch?«
Inzwischen war Lazar am Heck des Kangoo stehen geblieben und betätigte die Feststellbremse des Rollstuhls. Er drückte mit dem Daumen auf einen elektronischen Autoschlüssel, den er aus der Hosentasche hervorholte, und die Blinker des Fahrzeugs leuchteten auf.
Der Kangoo war mit einer elektrisch betriebenen, klappbaren Rampe und mit einer Seilwinde ausgestattet, damit der Rollstuhl durch die Hecktüren eingeladen werden konnte. In der Akte war von irgendjemandem, der offenbar zu viel Zeit hatte, vermerkt worden, dass es sich um einen Umbau der Firma Bekker handelte. Lazar sah nicht aus, als sei er kräftig genug gewesen, um seinen Bruder ohne die Seilwinde aus dem Rollstuhl ins Fahrzeug zu heben. Und es bestand kein Zweifel daran, dass die Zhivkos sich die zusätzlichen tausend Pfund, oder was der Umbau gekostet haben mochte, leisten konnten.
»Tja, das wär’s für heute. Ich nehme an, wir können Feierabend machen und unsere Oscars fordern.«
»Erst, wenn sie weggefahren sind. Lass uns diesen Job gründlich machen.«
»Okay. Aber der ganze Aufwand, um ein paar zweifelhafte Informationen zu bekommen? Hoffentlich weiß Europol zu schätzen, was wir für sie durchmachen.«
Das Blickfeld der Kamera umfasste den Wagen der Zhivkos sowie drei Fahrzeuge, die davor auf der Nordseite des Stephenson Place geparkt waren. Die bisherige Überwachung hatte gezeigt, dass die Brüder immer früh kamen, um sicherzugehen, dass sie den Kangoo in der Nähe ihres Geschäfts parken konnten. Da auf der Westseite bis zur Ampel an der Ecke Knifesmithgate eine durchgehende gelbe Doppellinie am Randstein
Weitere Kostenlose Bücher