Todesnacht - Booth, S: Todesnacht - Scared to Live
die Regeln zu verstehen, und uns die Bürokratie erklärt. Doch bei der ersten Anhörung hat der Richter unseren Antrag abgelehnt. Er sagte, dass es kleinere Probleme mit den Dokumenten gäbe. Wir mussten einen bulgarischen Rechtsanwalt engagieren, der die Fehler korrigiert hat, und dann musste das Gericht einen weiteren Termin festlegen. Die ganze Sache schien sich ewig hinzuziehen. Ich erinnere mich, dass es dort so etwas wie einen Amtsanwalt gab, der angestellt war, um auf rechtliche Probleme hinzuweisen. Er war ein großer Mann mit schwarzem Haar und breiten Schultern, und er trug eine leuchtend rote Robe. Wir nannten ihn bald nur noch Teufel.«
»Gut. Aber das ist wie lange her – zwölf Monate?«
»Ja, das ist richtig. Luanne war sechs Monate alt, als wir sie aus Bulgarien hierherbrachten.«
»Sie hat sich in vielerlei Hinsicht langsam entwickelt«, sagte Mrs. Lowther. »Aber das liegt an ihrem Hintergrund. Als wir sie bekamen, konnte sie gerade einmal eine Rassel greifen, und ihr Kopf wackelte noch hin und her, wenn wir sie aufsetzten. Sie war weit davon entfernt, selbst essen zu können.«
»Die Jungen waren in diesem Alter schon viel weiter, deshalb war es ein ziemlicher Schock für Lindsay«, fügte ihr Mann hinzu.
Mrs. Lowther lächelte traurig. »Luanne ist jetzt achtzehn Monate alt, und sie brabbelt die ganze Zeit vor sich hin. Trotzdem fällt es ihr schwer, Worte zu formen, sogar bei ›Mummy‹ und ›Daddy‹. Sie neigt dazu, das letzte Wort von allem, was man zu ihr sagt, zu wiederholen. Sie ist auch sehr unruhig, nicht wahr, Henry?«
»Das ist sie auf jeden Fall. Und sie kann äußerst emotional sein – sie lacht und weint fast gleichzeitig.«
»Und sie hat noch immer Probleme, eine Nacht durchzuschlafen, habe ich mir sagen lassen, Sir?«, warf Fry ein.
Lowther zögerte. »Ach ja?«
»Ihr Schwiegersohn hat gesagt, dass Luanne in der Nacht des Feuers hier bei Ihnen war, damit Lindsay sich ein bisschen erholen konnte.«
»Oh, das ist richtig«, sagte Lowther. »Luanne leidet noch immer unter Trennungsängsten. Lindsay und Brian hätten sich inzwischen längst angewöhnen sollen, sie schreien zu lassen, aber das brachten sie einfach nicht übers Herz. Eltern können ihr Kind nicht ignorieren, wenn es nach ihnen ruft.«
Fry war nicht beeindruckt. Henry Lowther sah nicht aus wie ein Mann, der mitten in der Nacht aufstand, um sich um ein schreiendes Baby zu kümmern, doch sie tat ihm womöglich Unrecht.
»Erklären Sie mir bitte noch einmal, wie es dazu kam, dass Sie sich letztes Wochenende mit Rose Shepherd in Matlock Bath getroffen haben.«
»Oh, das war ein Fehler. Ich hätte von Anfang an wissen müssen, dass das ein Fehler war. Aber Lindsay hat die Idee mit solcher Begeisterung aufgegriffen, wissen Sie. Sie wollte sich bei Miss Shepherd bedanken, dass sie ihr dabei geholfen hatte, Luanne zu bekommen. Ich habe Lindsay gesagt, dass
sie dankbar dafür sein sollte, was sie hat, und ihr geraten, die Ereignisse in Bulgarien abzuhaken. Aber sie war fast schon besessen von der Idee. Sie wissen ja, wie Frauen sind. Na ja, unsere Tochter war jedenfalls so. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war sie nicht mehr davon abzubringen.«
»Also haben Sie ein Treffen arrangiert?«
»Ja.«
»Dann müssen sie eine Möglichkeit gehabt haben, mit Miss Shepherd Kontakt aufzunehmen.«
»Ich hatte eine E-Mail-Adresse. Es handelte sich um eine von diesen kostenlosen Webmail-Adressen, die man bekommt, ohne persönliche Daten angeben zu müssen. Man muss nur einen Namen angeben, aber den kann man einfach erfinden. Das macht jeder.«
»Ich verstehe. Tja, diese E-Mail-Adresse hätten wir gerne, Sir.«
»Ich suche sie Ihnen raus. Wissen Sie, ich glaube nicht, dass sie oft in ihrer Mailbox nachgesehen hat. Es hat ein paar Wochen gedauert, bis sie auf meine Nachricht geantwortet hat. Eigentlich hatte ich schon vermutet, dass sie gar nicht reagieren würde. Ich dachte sogar, sie muss ihr E-Mail-Konto gewechselt haben oder gestorben sein. Ich hatte damals ja keine Ahnung.«
»Sie wussten nicht, dass Miss Shepherd ganz in der Nähe wohnte?«
Lowther lachte. »Nein, das war ja das Erstaunliche. Aber sie kannte Großbritannien nicht besonders gut, also war das vielleicht der erste Ort, der ihr eingefallen ist. Absurd, nicht wahr? Ich war völlig verdutzt, als sie Matlock Bath als Treffpunkt vorschlug. Ich hatte an irgendeine Stadt gedacht, vielleicht sogar London. Die Anonymität der Massen, wissen Sie.
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