Todesnacht - Booth, S: Todesnacht - Scared to Live
kicherte, winkte zurück und warf ihm eine Kusshand zu.
»Josie ist völlig normal«, sagte er. »Und Amy ebenso.«
»Erinnerst du dich noch, dass Josie eine imaginäre Freundin hatte, bevor sie in die Schule kam? Sie hat immer behauptet, ihre Freundin wäre bei ihr, und sie hat sich die ganze Zeit mit ihr unterhalten.«
»In Gottes Namen, Matt, jedes Kind hat in diesem Alter einen imaginären Freund.«
»Ich hatte keinen.«
»Das liegt daran, dass du keine Phantasie hattest.«
»Danke.«
Als Ben sich wieder zum Fenster umdrehte, sah er, wie Josie ihm die Zunge herausstreckte. Vielleicht lag es daran, dass er
ihr einen Augenblick lang nicht seine Aufmerksamkeit gewidmet hatte.
»Hat sie noch immer eine imaginäre Freundin?«, fragte er.
»Das weiß ich nicht«, entgegnete Matt. »Josie spricht nicht mehr von ihr, seit sie zur Schule geht. Aber vielleicht hat sie gemerkt, dass andere Leute das merkwürdig fanden, und erwähnt sie deshalb nicht mehr.«
»Oder es liegt daran, dass sie jetzt echte Freundinnen hat und die imaginäre Freundin nicht mehr braucht.«
»Meinst du wirklich, Ben?«
»Beim besten Willen, aber es war wirklich ganz schön einsam hier für Josie, als Amy bereits in der Schule war und sie noch nicht.«
»Die Zeit wird es zeigen, nehme ich an«, sagte Matt. »Aber ich muss die Fakten kennen. Schließlich habe ich die Entscheidung getroffen, Kinder zu bekommen. Na ja, ich und Kate.«
»Hast du schon mit Kate darüber gesprochen?«
Matt wischte sich mit der Hand übers Gesicht. »Ich muss erst wissen, was ich ihr sagen soll.«
»Als du im Internet nach all diesen Informationen gesucht hast, bist du da irgendwo auf Tipps gestoßen? Was wird einem denn geraten, das man tun soll?«
»Mit einem Psychiater sprechen.«
»Und das wirst du auch tun, oder?«
Matt seufzte. »Einigen dieser Websites zufolge wird man die Genetik von Geisteskrankheiten in zwanzig Jahren viel besser verstehen. Aber die Chancen stehen schlecht, dass die Forschung in den nächsten fünf Jahren in der Praxis Anwendung finden wird – wenn es mir was nützen würde. Oder dir, Ben.«
»Ich habe nicht vor, in nächster Zeit Kinder in die Welt zu setzen.«
»Du bist über dreißig. Allzu lange solltest du nicht mehr warten. Auch Männer haben eine biologische Uhr.«
»Wenn du das sagst.«
»Was ist denn mit deiner Freundin?«
»Liz? Wir sind nur... Na ja, wir sind nur zusammen, das ist alles.«
Matt zog die Augenbrauen hoch und warf ihm einen skeptischen Blick zu.
»Was ist?«, fragte Ben.
»Nichts. Ich finde nur, dass du dich verändert hast, seit du mit ihr zusammen bist.«
»Nein, das habe ich nicht.«
Sein Bruder schnaubte verächtlich. »Wie dem auch sei. Letzten Endes, Ben, musst du der Tatsache ins Auge sehen, dass dir niemand sagen kann, ob ein Kind von dir gesund oder anfällig für Schizophrenie sein wird.«
»Deswegen werde ich mir keine Sorgen machen«, sagte Ben bestimmt.
Ein paar Minuten später ließ er seinen Bruder im Büro zurück und ging hinaus in den Flur, der mitten durchs Haus verlief. Als Kind hatte er diesen Flur und die Treppe als düsteren Ort empfunden. Er erinnerte sich an dunkelbraunen Lack, schwarz gestrichene Dielen und schmale Läufer, die unter Schmutzschichten ihre Farbe verloren hatten.
Jetzt sah alles anders aus. Auf dem Boden lag ein hochfloriger Teppich, und die Wände waren weiß gestrichen. Vielleicht war es aber auch ein gebrochenes Weiß. Kate kannte sicher die genaue Farbbezeichnung aus dem Katalog. Das Holz war bis auf seinen natürlichen Kieferfarbton abgebeizt worden, und in Spiegeln und Bildern fing sich das Licht.
Ben drehte sich widerwillig um und blickte die Treppe hinauf. Oben sah er die erste Tür auf dem Korridor, die ins ehemalige Zimmer seiner Mutter führte. Nach dem Tod seines Vaters hatte sich ihr Zustand zunehmend verschlechtert, bis ihre Angehörigen nicht mehr verleugnen konnten, dass sie psychisch krank war.
Bei Isabel Cooper war chronische Schizophrenie diagnostiziert worden, und schließlich waren die Besorgnis erregenden Zwischenfälle untragbar geworden, vor allem mit Kindern im Haus. Ben schauderte bei dem Gedanken daran. Er wollte so etwas nie wieder mit ansehen müssen.
An einem Montagabend im Oktober waren die Derwent Gardens in Matlock Bath menschenleer. Niemand war auf den Wegen zwischen den Blumenbeeten und dem Brunnen zu sehen, und niemand in der Nähe des Musikpodiums oder der Kalktuffhöhle. Die Bergahornbäume entlang
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