Todesnacht - Booth, S: Todesnacht - Scared to Live
gefunden haben, ist die Rechnung für ihren Wagen. Er wurde bei einem Volvo-Händler in Chesterfield gekauft und ein paar Tage nach Miss Shepherds Einzug nach Bain House geliefert. Auf der Rechnung steht der Meilenstand zum Zeitpunkt des Kaufes, und wir haben ihn mit dem jetzigen Stand verglichen. Sie ist in einem Jahr ungefähr dreihundert Meilen gefahren. Damit war sie im wahrsten Sinne des Wortes eine Wenigfahrerin.«
»Mein Gott, dann ist sie ja fast gar nicht gefahren«, sagte Fry.
»Sie hatte ja auch niemanden, den sie besuchen konnte, oder?«
»Anscheinend nicht.«
Er hob das Gesicht an, um die Geräusche aufzusaugen. Autos und Motorräder; stampfende Musik aus dem Pub, das Dröhnen eines
Dieselmotors. Laute Stimmen ertönten, als sich eine Gruppe Jugendlicher vor dem Brody’s Nightclub in der oberen Etage des Pavillons anstellte. Lachend, johlend, kreischend. Der Lärm hallte von der Fassade des Gebäudes wider und erlaubte ihm, sich in dem Geschrei zu baden.
Er wartete im Bushäuschen neben dem Kalktuff-Brunnen und sprach mit den Fischen, als sie auftauchten, um nachzusehen, ob er ihnen Futter mitgebracht hatte. Zischend, spritzend, platschend. Doch er durfte hier nicht zu lange bleiben, sonst würde ein Polizist kommen und ihn verdächtigen, dass er vorhabe, irgendeiner lächerlichen Teenagerin im kurzen Rock aufzulauern. Los, los. Weitergehen.
Er lachte. Es war so amüsant, das Bild des Polizisten, der in seiner gelben, knirschenden Plastikjacke und in seinen Stiefeln umherstapfte, während ihm das Funkgerät ständig ins Ohr kreischte und Botschaften übermittelte, Botschaften über Botschaften, die ihm sagten, wohin er gehen solle und wohin nicht, Belehrungen und Befehle, Kommentare und Kommandos, bellend und brabbelnd.Wie hielt der Polizist das nur aus? Er musste taub sein. Taub in seinem Kopf. Das war so lustig, dass er wieder lachen musste. Kichern, glucksen, gackern.
Doch ihm wurde sofort bewusst, dass er laut gelacht hatte. Das erkannte er an den Gesichtern der Leute vor dem Nachtclub, die sich ihm zuwendeten und ihn aus dem Licht anstarrten.Verächtlich, feindselig. Irgendjemand kicherte, irgendjemand johlte. Irgendetwas plapperte und murmelte in seinem Hinterkopf. Es wurde Zeit, woanders zu sein.
Er drehte sich um, zog die Schultern in seinem Mantel hoch und ging zur Promenade Fish Bar. Er folgte dem lockenden Poltern eines Motorradmotors, dem Hupen eines Zweiklanghorns an einem Fahrzeug, das die Straße entlangraste. Aus der Ferne hörte er das Getöse einer Spielhalle. Zack, päng, bum! Sie würden ihn nicht hineinlassen, aber er konnte auch im Freien stehen bleiben und das Dröhnen des Verkehrs genießen.
Nachts war es am schwierigsten. Da waren zu wenige Geräusche zu hören. Immer war es zu leise. Er war sich sicher, dass er nicht der Einzige war, der sich nachts am verletzlichsten fühlte. Die Dunkelheit konnte alles verbergen, nicht wahr? Sie war von Phantasien und Schrecken bevölkert, von Geistern und Dämonen und all den anderen Schreckgespenstern, die wie Affen in den Winkeln seiner Gedanken schnatterten. Ganz zu schweigen von den Einbrechern und Vergewaltigern, von den wahnsinnigen Holzfällern, die in den Gassen murmelten, angezogen vom Geräusch menschlichen Atmens wie Motten von einer Flamme.
Jedes Mal, wenn er einschlief, war ihm bewusst, dass er womöglich von einer Erscheinung im Zimmer geweckt werden würde, von einer Stimme, die zur Wirklichkeit erstarrt war. Er malte sich in Gedanken den Moment aus, wenn das Atmen, das er hören konnte, nicht sein eigenes war, wenn sich der Schatten hinter der Tür plötzlich bewegte, wenn ein Arm an der Wand entlangstreifte, wenn in der Stille ein Rascheln von Stoff und das heisere Murmeln seines Namens zu hören waren, ehe schließlich ein Messer zustach. Er stellte sich diese letzten Augenblicke so oft vor, dass er spürte, wie sich seine Gliedmaßen unter der Bettdecke verhedderten, während er um sich schlug, um der Klinge zu entgehen. Schlitzend, stechend, reißend. Da, was habe ich dir gesagt?
Ein Krankenhauszimmer war allerdings auch nicht besser. Die Geräusche, die nachts durch die Korridore schallten, waren fremd und unergründlich. Ein Chaos wie die Musik eines Irrenhauses. Heulend, brüllend, den Mond anbellend. Und nicht nur Geräusche, sondern auch Gerüche. Sie verschmolzen im Geist zu einer dicken Suppe, wirbelten umher und formten Bilder, die er lieber nicht in seinem Kopf sehen wollte. Da waren halb
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