Todesnacht: Thriller (German Edition)
Tabletten Savage zu übergeben, bevor die junge Frau sie wieder einsammeln konnte.
In dem Augenblick, als Emily in die Dunkelheit des Waldes eintauchte, stand ein Mann knapp zwei Kilometer entfernt im Machias State Park, gut versteckt hinter Tiff Stoddards rostig grünem Ford Taurus. Geduldig säuberte er sich mit einem langen, schmalen Messer die Fingernägel.
3
Portland, Maine
An demselben Freitagabend im August – es war 19.47 Uhr – lastete eine träge Schwüle in der Luft über dem Polizeipräsidium in der Middle Street 109. Die Hitze und die Feuchtigkeit hätten sehr viel besser in die Sümpfe von Louisiana gepasst als in die Straßen der größten Stadt des US -Bundesstaates Maine. Und im Inneren des Gebäudes war es noch schlimmer. Die antiquierte Klimaanlage, die seit über zehn Jahren mehr oder weniger sinnlos vor sich hin siechte und nur noch durch Spucke und Drähte zusammengehalten wurde, hatte sich den ganzen Tag lang unter Stöhnen und Ächzen redlich, aber vergeblich bemüht, etwas erträglichere Bedingungen zu schaffen. Vor zwei Stunden hatte sie den Dienst schließlich vollends eingestellt. Die letzten diensthabenden Beamten nutzten jeden noch so nichtigen Anlass, um das Gebäude verlassen zu können. Andere brauchten nicht einmal einen Vorwand, sondern huschten einfach so nach draußen, und nicht wenige flüchteten in eine der Kneipen am Old Port, um sich im kalten Luftzug einer funktionierenden Klimaanlage und mit einem noch kälteren Geary’s oder Shipyard ein wenig Erleichterung zu verschaffen.
Im dritten und obersten Stockwerk, wo das Dezernat für Kapitalverbrechen untergebracht war, hatte die Temperatur mittlerweile fast die Vierzig-Grad-Marke erreicht. In dem kleinen fensterlosen Verhörzimmer, in dem Detective Maggie Savage seit mehr als anderthalb Stunden einen Verdächtigen verhörte, war sie noch ein wenig höher. Doch trotz der brutalen Hitze, trotz des Schweiß- und Körpergeruchs, den der Hundertfünfunddreißig-Kilo-Koloss namens Kyle Carnes verströmte, und trotz der Schweißbäche, die ihr selbst den Rücken hinunterliefen, war Maggie nicht unzufrieden. Wenn sie verhindern könnte, dass Carnes einen Anwalt verlangte, dann würden die miserablen Bedingungen früher oder später vielleicht sogar mit dazu beitragen, dass sie ihm ein Geständnis entlockte. Sie war sich sicher, dass sie die Hitze länger ertragen würde als er.
Als Senior Detective beim Dezernat für Kapitalverbrechen verbrachte Maggie ihre Tage und viele ihrer Nächte mit der Jagd nach Mördern, Vergewaltigern und anderen zwielichtigen Gestalten. Sie konnte keinen von ihnen ausstehen, aber am abstoßendsten waren eindeutig die Typen, die Frauen misshandelten, die sie angeblich liebten, und die sich an ihrer Tat berauschten.
Der Kerl, der gerade vor ihr saß, war ein gewohnheitsmäßiger Gewalttäter. Für die ersten beiden Male, da er seine Freundin – eine Frau namens Mary Farrier – verprügelt hatte, hatte es keine Zeugen gegeben, und obendrein hatte Farrier sich geweigert, Anzeige zu erstatten. Es war jedes Mal das Gleiche. Maggie hatte es schon hundertmal erlebt. Die Frau war zu verängstigt, um auszusagen. Fürchtete sich viel zu sehr davor, was Carnes ihr womöglich antat, wenn er sie das nächste Mal in die Finger bekam. Und sie war auf irgendeine verkorkste Weise überzeugt davon, dass es ihre eigene Schuld gewesen war.
Doch diesmal würde Kyle nicht ungeschoren davonkommen. Diesmal hatte Maggie eine Zeugin: eine Nachbarin, die bereit war, vor Gericht auszusagen. Sie hatte durch die Wohnungstür mit angehört, wie Kyle Mary angebrüllt hatte, dass er sie verflucht noch mal umbringen würde. Darauf waren Stöhnen und dumpfe Schläge gefolgt. Und dann hatte Carnes die Tür aufgerissen und war wutentbrannt aus der Wohnung gestürmt. Die Nachbarin war hineingegangen, hatte Farrier auf dem Fußboden liegend vorgefunden und den Notarzt verständigt. Die misshandelte Frau war bei ihrem Sturz mit dem Kopf gegen die harte Edelstahlkante des Couchtisches geprallt und hatte Hirnblutungen erlitten. Jetzt lag sie auf der Intensivstation des Cumberland Medical Center im Koma. Wenn sie stürbe – und die Ärzte hielten dies für eine realistische Möglichkeit –, dann würde die Anklage gegen Carnes nicht mehr lediglich auf schwere Körperverletzung, sondern auf Mord lauten.
» Sie stecken bis zum Hals in der Scheiße, Kyle « , sagte Maggie. Ihr sanftes Lächeln und der freundliche Tonfall standen im
Weitere Kostenlose Bücher