Todesnacht: Thriller (German Edition)
Verbindung und schaltete ihr Handy aus. » Okay? « , sagte sie.
» Perfekt « , erwiderte er und gab ihr einen Kuss auf den Scheitel. » Du warst großartig. Fantastisch. «
Nach diesem Lob fühlte Tabitha sich zum ersten Mal, seitdem sie von Tiffs Tod erfahren hatte, ein kleines bisschen frohgemut. Sie umarmte Harlan und drückte ihn fest an sich. » Danke « , sagte sie.
» Gern geschehen. Und jetzt wird geschlafen. «
Sie beschloss, ihm nicht zu sagen, dass sie kein bisschen müde war. Kuschelte sich einfach in den Schlafsack und dachte darüber nach, wie sehr sie den Freund ihrer Schwester mochte. Vielleicht könnte sie ja, wenn das alles vorbei war, bei ihm wohnen. Und da sie jetzt eine Waise war, könnte er sie vielleicht sogar adoptieren, obwohl sie zugeben musste, dass er wahrscheinlich ein wenig zu jung war, um ihr Vater zu sein. Dann eben ein großer Bruder. Genau. Das wäre doch nett.
56
Dienstag, 25. August 2009, 03.31 Uhr
Machias, Maine
Emily Kaplan lag in dem kleinen Zimmer im ersten Stock, das früher einmal Harlan gehört hatte, und dachte darüber nach, ob sie nun eine Schlaftablette nehmen sollte oder nicht. Sie hatte noch nie gerne Tabletten geschluckt, immer nur dann, wenn es wirklich nicht mehr anders gegangen war. Doch die Kopfschmerzen hatten nicht nachgelassen, und auch sonst tat ihr alles weh. Besonders die beiden gebrochenen Rippen. Bei jeder noch so kleinen Bewegung raubte der stechende Schmerz ihr für einen kurzen Augenblick den Atem. Vor einer Stunde hatte sie schon einmal nachgegeben und achthundert Milligramm Ibuprofen eingenommen, aber das hatte kaum etwas genützt, und etwas Stärkeres wollte sie nicht nehmen. Erst recht kein Oxycontin, obwohl sie ihr das Mittel im Krankenhaus sogar angeboten hatten.
Irgendwann beschloss sie auszuprobieren, ob Sitzen vielleicht weniger schmerzhaft wäre als Liegen. Sie quälte sich aus dem Bett. Ihr pinkfarbener Schlafanzug war etliche Nummern zu klein. Er hatte früher einer deutlich jüngeren Maggie gehört und war ein Überbleibsel aus der Zeit, bevor sie erst nach Orono und später nach Portland gezogen war. Emily zog einen Stuhl aus der Ecke des Zimmers ans Fenster und setzte sich. Klappte die Lamellen der Jalousie so weit auf, dass sie in die Nacht hinausblicken und den angenehm kühlen Luftzug auf der Haut spüren konnte.
Gestern am späten Nachmittag war sie hier eingetroffen, zusammen mit John Savage, der sie in Bangor abgeholt hatte. Sie hatte dieses Zimmer bezogen, das voller Erinnerungen an die Kindheit des jüngsten Savage-Sohnes steckte: Mannschaftsfotos. Medaillen. Harlan in weißem Jackett und hellblauem Rüschenhemd, den Arm um eine hübsche Rothaarige gelegt, vermutlich seine Partnerin beim Highschool-Abschlussball.
Im Krankenhaus hatte John Savage ihr zu verstehen gegeben, dass er sie unter keinen Umständen in ihr eigenes Haus in Machiasport zurückkehren lassen würde. Nicht heute. Und auch nicht in den nächsten Tagen. Nicht, ohne dass jemand auf sie aufpasste. Teufel auch, hatte er gesagt, in Bangor im Krankenhaus hatte sie Polizeischutz gehabt, also würde sie verdammt noch mal auch hier Polizeischutz bekommen, und sei es nur von einem vierundsiebzig Jahre alten Sheriff mit Lymphdrüsenkrebs, der gerade mit den Nebenwirkungen seiner Chemotherapie kämpfte. » Keine Widerrede « , hatte er gesagt. » Du bleibst bei uns. «
Sie hatte nicht widersprochen. Die Vorstellung hatte ihr sogar einigermaßen gefallen. Sie blickte durch das geöffnete Fenster in das in der aufkommenden Brise rauschende Laub und fragte sich, ob vielleicht ein Wetterumschwung bevorstand.
Da plötzlich sah sie einen Schatten hinter dem mächtigen Ahorn hervor- und zur Seitenfassade des Hauses hinüberhuschen. Irgendetwas an der Art, wie der Schatten sich bewegte, kam ihr bekannt vor. Nur woher? Sie zermarterte sich das Gehirn, konnte es jedoch nicht benennen, obwohl sich die Erinnerung zum Greifen nah anfühlte. Und dann, mit einem Mal, wusste sie es. Einfach so. Der Nebel der Amnesie hatte sich gelüftet, und sie wusste es. Der Schatten war längst wieder aus ihrem Blickfeld verschwunden, aber sie wusste es.
Ein Angstschauer ließ sie erzittern. Emily lauschte aufmerksam zum geöffneten Fenster hinaus. Über das Rauschen der Blätter hätte sie fast das beinahe lautlose Quietschen von Gummisohlen auf der Holzveranda überhört. Doch sie hatte es vernommen. Sie musste Savage wecken.
Anya und Savage lagen nebeneinander im Bett, Anya leise
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