Todesnacht: Thriller (German Edition)
lieber gestorben, als sich hinter das Steuer einer solchen Proletenschüssel zu setzen. Sam bevorzugte alte Mercedes-Cabrios oder, wenn er gerade einmal wieder das Bedürfnis hatte, den Macho in ihm stärker nach außen zu kehren, einen alten Chevy Pick-up.
Von außen hatte sich das Haus kein bisschen verändert, seitdem Maggie das letzte Mal hier gewesen war oder vielmehr – um genau zu sein – seitdem Sams Großtante Julia es Anfang der Dreißigerjahre gebaut hatte. Ein schlichtes Schindelhäuschen mit einer umlaufenden Veranda auf einem über einen Hektar großen Grundstück zwischen Great Cove und der Englishman Bay. Gleich hinter dem Haus stand die Scheune, die Julia in ein Künstleratelier verwandelt hatte. Ob Sam die Gemälde noch besaß, die Julia ihm nach ihrem Tod hinterlassen hatte? Dabei dachte sie besonders an diejenigen, die Julia von ihr gemalt hatte.
Seit Maggies letztem Besuch hier waren etwas mehr als drei Jahre vergangen. Das war kurz vor der Trennung gewesen. Em hatte sie an dem Abend, bevor Maggie wieder nach Portland zurückfahren musste, zum Essen eingeladen. Sie müsse ihr etwas erzählen, und zwar persönlich. Mehr als diesen geheimnisvollen Satz hatte sie im Vorfeld nicht gesagt.
Es war ein ungewöhnlich warmer Aprilabend gewesen, sodass sie nach dem Essen auf der Veranda gesessen und dem auflaufenden Wasser zugesehen hatten. Sam hatte sich ausnahmsweise einmal tadellos verhalten. Nicht allzu viel geflirtet. Nicht allzu viel getrunken – nur so viel, dass sein Akzent ein kleines bisschen mehr nach Südstaaten, nach Louisville, klang als in nüchternem Zustand. Vielleicht hatte er ja gespürt, was Emily durch den Kopf gegangen war.
Nach dem Kaffee machten Maggie und Em einen Spaziergang zum Strand hinunter, und Em verkündete ihr, dass ihre Ehe am Ende sei. Dass sie die Nase voll habe. Dass sie Sams Trinkerei und seine Wutanfälle und seine nicht enden wollenden Frauengeschichten nicht länger ertragen könne. Sie selbst hatte ihr Eheversprechen ernst genommen und all ihre Kraft in die Beziehung investiert, aber mittlerweile war nichts mehr davon übrig. » Nicht das geringste bisschen mehr. Meine Reserven sind erschöpft. «
Maggie wusste, dass sie recht hatte.
Ob Sam es schon wisse, erkundigte sie sich.
Nein, noch nicht. Zumindest noch nicht offiziell. Em wollte es ihm am nächsten Morgen sagen. Das war die einzige Tageszeit, wo sie sich wenigstens halbwegs sicher sein konnte, dass er nüchtern genug war, um darüber zu sprechen. Trotzdem würde er in die Luft gehen. Sein Ego verkraftete keine Zurückweisung. Er würde schreien. Toben. Wüste Drohungen ausstoßen. Emily in höhnischem Tonfall an das » Bis dass der Tod uns scheidet « erinnern. Ihr drohen, dass sie keinen Cent von ihm bekäme. Nicht jetzt. Und erst recht nicht später. Niemals. Obwohl er ganz genau wusste, dass Julias Geld sie einen feuchten Dreck interessierte. Was immer noch davon übrig sein mochte. Wahrscheinlich ohnehin nicht mehr besonders viel, so unermüdlich und bedenkenlos, wie Sam es ausgab. Das Einzige, was sie wirklich bedauere, hatte Em an jenem Abend gesagt, sei, dass sie kein Kind bekommen hatten. Sie hatte sich schon immer ein Kind gewünscht, und jetzt, angesichts des Junggesellenmangels im Washington County, würde es aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht mehr dazu kommen. Obwohl sich sicherlich irgendwo ein Samenspender finden ließe. Sie hätte das Kind auch alleine großgezogen.
Maggie hörte ihre beste Freundin beileibe nicht das erste Mal aus ihrem bestürzenden Ehealltag berichten. Trotzdem war sie überrascht, dass es letztendlich so weit gekommen war. Dass Em tatsächlich einen Schlussstrich ziehen wollte. Emily, die ewige Mannschaftsführerin, die – selbst wenn das Team zehn Punkte im Rückstand lag und keine Minute mehr zu spielen war – trotzdem versuchte, ihre Mitspielerinnen noch einmal aufzurütteln, sie zu überzeugen, dass es noch eine Chance auf den Sieg gab.
Soweit Maggie sich erinnern konnte, war es das erste und einzige Mal, dass Emily bei irgendetwas aufgab, das sie sich vorgenommen hatte. Dass sie sich eingestehen musste, dass es da etwas gab, das sie nicht mit bloßer Willenskraft zu einem guten Ende bringen konnte. Dieses Mal nicht, sagte Emily. Nicht mehr. Sie wollte sich nicht länger die Schuld an Sams ekelhaftem Verhalten geben. Dieses Mal, endlich, endlich, würde sie ausziehen. Die Scheidung einreichen.
Maggie nahm an, dass Sam gespürt hatte, was auf ihn
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