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Todesnähe

Todesnähe

Titel: Todesnähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. J. Tracy
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bis ins Mark.
    «Das Ding funktioniert nie im Leben», brummte Harley.
    Grace zog ihre Pistole und sah sich um, drehte sich auf dem Sitz hin und her, um eine Rundumübersicht zu bekommen. John fing ihren Blick auf und nickte.
    «Ich gehe das Telefon ausprobieren. John, du setzt dich ans Steuer und lässt den Motor laufen. Harley, komm nach vorn. Annie und ich brauchen eine Pause.»
    «Ich gehe mit dir zum Telefon.» Harleys Ton ließ keinen Widerspruch zu. Doch Charlie war noch schneller aus dem Wagen als er.
    Langsam stieg Grace aus. Hier im Norden war es sehr viel kälter, und zwischen den Nadelbäumen pfiff ein eisiger Wind hindurch. Abgesehen davon war es dunkel und still.
    Die Telefonzelle war nicht allzu weit vom Wagen entfernt, doch Grace blieb auf halber Strecke stehen und suchte mit dem Blick den Wald ab, der ringsum immer höher zu werden schien. Eine Art Anhöhe. Hier wurden die ebenen Ackerlandschaften, die sie bisher durchquert hatten, wieder hügeliger – wahrscheinlich war ein ehemaliger Gletscher daran schuld. Wolken zogen in rascher Folge vorbei, doch in der Ferne, gleich hinter dem Hügel, sah Grace, dass ihre dicken, schneegeblähten Unterseiten einen Lichtschein zurückwarfen. Der Mond? Ein Haus? Oder ein Wagen? Vielleicht ein paar Jugendliche, die sich an diesem gottverlassenen Ort mit Saufen die Nacht vertrieben.
    «Siehst du was?», flüsterte Harley angespannt, die eigene Waffe entsichert im Anschlag.
    Grace zuckte unschlüssig die Achseln, deutete auf das Licht.
    Harley entspannte sich merklich. «Mondschein», sagte er. «Der Wald ist trügerisch. Hier oben verliert man das Gefühl für Entfernungen, weil es sonst keine Anhaltspunkte gibt.»
    Alle vagen Zweifel verließen Grace, und sie legte den verbliebenen Weg bis zur Telefonzelle mit drei großen Schritten zurück.
    Das Leben war wie ein Rouletterad, es bestand aus Zufälligkeiten und hielt keine Wunder bereit; Schicksal und Vorsehung gab es nicht, davon war Grace felsenfest überzeugt. Trotzdem: Als sie den schartigen Kunststoffhörer abnahm und ein Freizeichen hörte, glaubte sie einen Moment lang, die Hand Gottes zu spüren. «Ich fass es nicht», flüsterte sie Harley zu. «Das Ding funktioniert. Gib mir mal Kleingeld.»
    Mit gerunzelter Stirn wühlte Harley in seinen Hosentaschen. «Wer hat denn heutzutage noch Kleingeld? Ich benutze seit fünfzehn Jahren nur noch Karten.»
    Grace betrachtete das uralte Telefon und dachte an die Zeit zurück, als sie als Kind auf der Flucht gewesen war. Damals hatte sie täglich die Telefonzellen der Stadt abgeklappert, auf der Suche nach Münzen, die im Rückgabefach liegen geblieben waren. An guten Tagen hatte sie auf diese Weise genug zusammenbekommen, um sich Toastbrot und einen warmen Platz in irgendeinem Café zu leisten, wo sie dann Milchdöschen und Ketchuppäckchen klaute und sich daraus mit heißem Wasser aus dem Waschraum eine Suppe machte.
    Sie schob die Finger in das Fach und zog mit triumphierender Miene zwei Vierteldollarmünzen hervor. Anscheinend waren die Kinder heutzutage zu faul oder zu verwöhnt, um solche einfachen Geldquellen aufzusuchen.
    «Gut gemacht, Grace», flüsterte Harley, doch Grace hatte die Münzen bereits eingeworfen und wählte Magozzis Nummer. Sie sprach rasch, lauschte kurz und spürte dabei, wie sich Charlie an ihr Bein drückte. Als sie aufgelegt hatte und sich bückte, um den Hund zu streicheln, spürte sie seine Anspannung. Er hatte sich hingesetzt und presste sich fest gegen sie, doch den Blick hielt er starr auf den Hügel gerichtet, auf den auch Grace zuvor geschaut hatte, und auf das Licht in den Wolken darüber. Er winselte einmal kurz, dann stieß er ein leises, kehliges Knurren aus.

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KAPITEL 42
    M
ukwa erwies sich als hartnäckiger Gast – auch in dieser Nacht erschien er dem Chief und zeigte ihm einen stillen, dunklen Winterwald. Dann führte er ihn tief in den Wald hinein auf eine kleine Lichtung, wo ein einzelner Mondstrahl durch die dürren, kahlen Baumkronen fiel. Der Waldboden, den er beleuchtete, war von einer hauchdünnen Schicht brüchigen Eises bedeckt. Darüber blitzten und funkelten die knorrigen Äste wie Kristall, vom Eissturm reich geschmückt.
    Ganz in der Nähe streckte
Waboo, der Hase, seine zuckende Nase unter einem Berberitzenstrauch hervor, schnupperte in die nächtliche Luft und hoppelte dann wachsam aus seinem Versteck, um sich auf Nahrungssuche zu begeben. Das war sonderbar, denn wegen der vielen

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