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Todesnähe

Todesnähe

Titel: Todesnähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. J. Tracy
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Inhaltsübersicht]
KAPITEL 41
    D ie Nebenstraßen gefielen Annie überhaupt nicht. Kein bisschen. Sie waren schmal, holprig und stockfinster, weil die riesigen Fichten, je weiter sie nach Norden kamen, zu beiden Seiten immer dichter standen und das bisschen Mondlicht, das noch durch die wachsenden Wolkenberge drang, vollends aussperrten. Man kam sich vor, als würde man in eine pechschwarze Höhle fahren. Das erinnerte sie an den schrecklichen Moment, der noch nicht allzu lange zurücklag, als eine ganze Armee sie in Wisconsin durch einen ganz ähnlichen geisterhaften Wald gehetzt hatte, um sie zu töten.
    Es gab mit Sicherheit Gründe dafür, dass manche Orte weitgehend unbewohnt blieben, und Annie hatte wahrhaftig keine Lust, selbst herauszufinden, was das für Gründe waren. «Wenn wir noch lange auf diesem gottverlassenen Pfad ins Nichts bleiben, Grace, finden wir wahrscheinlich eher noch eine Tiffany-Filiale als eine Telefonzelle.»
    Obwohl sie die Abneigung ihrer Freundin gegen verlassene Wälder kannte, beschlich auch Grace langsam das Gefühl, dass Annie recht haben konnte. «Bei der nächsten Gelegenheit, wo uns keiner sehen kann, halte ich an, dann schauen wir noch mal genau auf die Karte.»
    «Wer sollte uns denn sehen? Seit mindestens einer Stunde ist uns kein anderer Wagen mehr begegnet.»
    «Ist das da vorne nicht ein Schild?», fragte John leise vom Rücksitz.
    Grace verlangsamte auf Schritttempo, und die Scheinwerfer beschienen ein verblasstes, windschiefes Straßenschild, das wahrscheinlich längst in den Straßengraben gekippt wäre, hätte ein Dickicht aus Brombeerranken es nicht gehalten. Falls überhaupt je etwas darauf gestanden hatte, waren die Buchstaben längst der Zeit und den Elementen zum Opfer gefallen. Doch Grace konnte gerade noch zwei verblichene Symbole ausmachen: die internationalen Zeichen für eine Toilette und ein Telefon. «Ein Rastplatz.»
    Annie spürte, wie die Spannung in ihren Schultern zunahm. «Also, für mich sieht das fiese alte Ding aus wie die Kulisse in einem dieser Weltuntergangsstreifen, nach der Katastrophe. Außerdem sind da Einschusslöcher drin, Grace. Einschusslöcher, das heißt Menschen mit Waffen, die einfach so zum Spaß auf Straßenschilder schießen. Was glaubst du, worauf die sonst noch so schießen?»
    Grace musterte die Narben des altersschwachen Schildes, die selbst schon ganz rostig waren: mit ziemlicher Sicherheit die historische Hinterlassenschaft gelangweilter Jugendlicher aus längst vergangenen Tagen. Leider erhöhte das die Wahrscheinlichkeit, dass auch der Rastplatz und die in Aussicht gestellte Telefonzelle inzwischen historisch waren. Früher waren Orte wie der, den das lädierte Schild ankündigte, einladende, idyllische Oasen für müde Reisende auf der Fahrt durch das endlose unbelebte Hinterland gewesen – ein friedlicher, hübscher Platz, an dem man sich die Beine vertreten, sein Butterbrot essen und ein wenig Natur genießen konnte, bevor man sich wieder hinters Steuer der Familienkutsche klemmte. Doch das hatte sich schon vor langer Zeit geändert, seit die Autobahnen eine sehr viel schnellere Ankunft am gewünschten Ziel ermöglichten. Und so wurden die abgelegenen Plätze merklich weniger, verschwanden mehr und mehr in den Wäldern und Feldern, nachdem sie jahrzehntelang so gute Dienste geleistet hatten.
    «Wahrscheinlich ist das Telefon schon seit Jahren außer Betrieb», sagte John. «Aber wir müssen es trotzdem versuchen.»
    Grace nahm die Abzweigung, und schon war es mit dem Asphalt vorbei. Eine gefühlte Ewigkeit lang rumpelte der Wagen über eine Schotterpiste, und Grace hielt das Lenkrad fester umklammert. Die Bäume standen immer dichter, ihre Zweige streiften die Seitenfenster des schweren Gefährts, das mindestens einen halben Meter breiter war als der Weg.
    «Gütiger Himmel», murmelte Annie. Sie hatte die Hände gegen das Armaturenbrett gestemmt, um nicht vom Sitz zu rutschen. Selbst Charlie fing an zu winseln.
    Schließlich endete der Pfad auf einem kleinen, verwilderten und mit leeren Bierdosen übersäten Parkplatz. Ein paar demolierte Picknicktische standen kläglich herum, daneben eine altersschwache Wasserpumpe, die wohl irgendwann im letzten Jahrhundert einmal als Trinkbrunnen gedient hatte, und ein Toilettenhäuschen aus Beton. Und gleich neben den Picknicktischen, wie ein sperriges Museumsstück, eine alte Telefonzelle. Grace hatte das Gefühl, als dränge ihr die Einsamkeit und Trostlosigkeit dieses Ortes

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