Todesnähe
drohenden Gefahren verließ Waboo seinen Bau sonst nie bei Nacht. Das Karnickel musste also wirklich hungrig sein.
Trotz seines geringen Gewichts splitterte und knackte das Eis, das den Waldboden bedeckte, unter seinen weichen, pelzigen Pfoten. Waboo blieb wie erstarrt sitzen, weil er wusste, das Geräusch würde Raubtiere anlocken. Der Hunger hatte ihn leichtsinnig gemacht.
Schatten lösten sich aus dem Wald, kamen näher heran.
«Wiisagizi maa’ingan»,
sprach Mukwa. Es war das erste Mal seit Khe Sanh, dass er etwas sagte.
Kojoten. Die trickreichen Schelme.
Als der Chief erwachte, prasselte der Eisregen immer noch an sein Fenster. Er seufzte tief auf. Wenn Mukwa ihm bloß gezeigt hätte, was mit Waboo geschah!
Gino hatte keine Ahnung, wie lange er geschlafen hatte. Gerade noch hatte er mit Magozzi geredet und versucht, ihn vom Verschwinden des Monkeewrench-Teams abzulenken, obwohl McLarens Bericht ja positiv gewesen war. Und jetzt spürte er plötzlich einen stechenden Schmerz im Nacken und eine Hand am Arm, die ihn sanft wachrüttelte. Als er die Augen aufmachte, sah er eine verschwommene Gestalt mit schwarzem Haar vor sich. Er konnte nur hoffen, dass es Magozzi war und kein Bär. «Oh … wie lang hab ich denn geschlafen?»
«Zwei Stunden vielleicht.»
«Tut mir leid, dass ich eingenickt bin.» Gino bewegte den Kopf hin und her, um die verspannte Nackenmuskulatur zu lockern.
«Ich bin auch eingenickt und eben aufgewacht, weil Grace angerufen hat.»
Jetzt war Gino hellwach – ganz im Gegensatz zu seinen Augen, denn irgendwie sah Magozzi immer noch aus wie ein Bär. «Geht’s ihnen gut? Wo sind sie?»
«Es geht ihnen gut, und sie sind auf dem Weg hierher. Ich habe ihnen die Wegbeschreibung durchgegeben.»
«
Hierher?
Was ist denn da los?»
«Sie hat nicht viel gesagt, um schnell weiterfahren zu können. Der Anruf kam von einer Telefonzelle an einem alten Rastplatz. Ich weiß also nur, dass bei Monkeewrench jemand angerufen hat, der sich als FBI -Agent aus Washington ausgegeben und nach John gefragt hat. Ein paar Minuten später hat Smith sich gemeldet. Er hatte die Büroleitung überwacht und meinte, der Anruf sei nicht aus Washington gekommen, sondern aus Minneapolis, sie sollten so schnell wie möglich verschwinden.»
Gino legte die Stirn in Falten. «Dann ist also tatsächlich jemand hinter ihnen her?»
«Smith scheint das zu glauben. Er ist jetzt bei ihnen und sagt, er hat Informationen, die wir sofort hören müssten. Da habe ich eben gesagt, sie sollen herkommen.»
Gino rieb sich die Augen in der Hoffnung, dass seine Gedanken ebenfalls klarer würden, wenn er wieder klarer sah. «Was zum Teufel …?»
Doch Magozzi schüttelte die Frage ab wie eine unangenehme Berührung. «Das erfahren wir schon noch früh genug. Die gute Nachricht ist, dass ihnen keiner folgt, da war Grace sich ganz sicher. Sie sind schon die halbe Nacht unterwegs und kaum einem Auto mehr begegnet, seit sie aus der Stadt draußen sind.»
Gino rappelte sich zum Sitzen hoch und bemühte sich, endlich vollständig wach zu werden.
«Was ist los, Detectives?» Vom Gang her ließ sich eine tiefe, schläfrige Stimme vernehmen, dann kam der Chief herein, von Kopf bis Fuß in Tarnkleidung gehüllt.
«Das ist eine lange Geschichte», sagte Magozzi, «aber ich fürchte, wir erwarten ein paar Gäste, die sich hier mit uns treffen werden. Sobald sie da sind, müssen wir aufbrechen. Vielleicht können Sie uns eine grobe Richtung nennen? Möglichst außerhalb des Reservats?»
Der Chief ging vor dem Kamin in die Hocke und legte noch ein paar Holzscheite und Papierfetzen auf das Feuer. «Wieso denn außerhalb des Reservats? Haben Ihre Freunde etwas gegen Rothäute?»
«Rothäute?», wiederholte Gino.
«Sagen Sie mir, was wirklich los ist.»
Der Chief hatte die Wahrheit verdient, also sagte Magozzi ihm die Wahrheit. «Unsere Freunde stecken in Schwierigkeiten. Und wir wollen auf keinen Fall, dass Sie in diese Schwierigkeiten hineingeraten.»
Der Chief musterte ihn aufmerksam. «Was denn für Schwierigkeiten?»
Gute Frage
, dachte Magozzi bei sich. «Ich gebe Ihnen mal die Kurzversion. Sie sind mit einem ehemaligen FBI -Agenten unterwegs, über den eine Fatwa verhängt wurde, und vermuten, dass sie verfolgt werden. Falls also irgendwie Gefahr besteht, und wir müssen davon ausgehen, dass dem so ist, wollen wir keinesfalls Sie oder Ihr Volk mit hineinziehen.»
Der Chief setzte sich auf die steinerne Ofenbank. «Wir wissen
Weitere Kostenlose Bücher