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Todesopfer

Todesopfer

Titel: Todesopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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würde.
    O Gott, bitte Gott, nein.
    Richard setzte sich neben mich auf die Koje. Er hielt noch immer meine Hand. »Als ich neun Tage alt war«, erzählte er, »habe ich das Herzblut meiner Mutter getrunken.«
    Er machte eine Pause, gab mir einen Moment Zeit, das zu verarbeiten, was er sagte. Ich konnte nicht sprechen, sondern ihn nur anstarren.
    Â»Sie haben es mir mit der Flasche gegeben«, fuhr er fort. »Zusammen mit ihrer letzten Milch.«
    Galle stieg mir in die Kehle. »Hör auf. Ich will nicht …«
    Er hieß mich schweigen, strich mir sanft mit dem Finger über die Wange. Ich schluckte heftig, konzentrierte mich darauf, tief zu atmen.
    Â»Natürlich wusste ich damals nichts davon; erst viel später, an meinen sechzehnten Geburtstag, habe ich von … sagen wir, von meinem außergewöhnlichen Erbgut erfahren.«
    Einatmen, ausatmen. Das war alles, woran ich denken konnte. Ich hörte seine Worte, doch ich glaube nicht, dass ich sie wirklich verstand. Damals nicht, erst sehr viel später.

    Â»Du kannst dir den Schock bestimmt vorstellen. Ich war bei meinem Vater und seiner Frau aufgewachsen, einer Frau, die ich sehr geliebt habe. Ich wusste nicht, dass sie nicht meine leibliche Mutter war. Und das Grauen über das, was sie mir erzählten, was der Frau angetan worden war, die … Ich glaube, das war der schlimmste Tag meines Lebens.«
    Ein sarkastischer Satz ging mir durch den Kopf, lag mir auf der Zunge: Mir blutet das Herz. Großer Gott, wer hatte sich das ausgedacht?
    Â»Aber gleichzeitig war es der Beginn meines Lebens, des Begreifens, wer ich wirklich war. Ich wusste bereits, dass ich etwas Besonderes war, viel klüger als alle anderen Kinder in meiner Klasse. Ich war ein begabter Musiker, und ich habe vier Sprachen gesprochen, zwei davon hatte ich mir selbst beigebracht. Ich war stärker, schneller und besser bei so ziemlich allem, was ich getan habe. Jede Sportart, die ich ausübte, habe ich gemeistert. Und ich war nie krank. Nicht ein einziges Mal in den ganzen sechzehn Jahren hatte ich wegen Krankheit in der Schule gefehlt. Als ich zwölf war, habe ich mir beim Fußballspielen den Knöchel gebrochen. Er ist innerhalb von zwei Wochen verheilt.«
    Ich fand meine Stimme wieder. »Du hattest bloß Glück, eine günstige Kombination der Gene. Das hat doch nichts mit …«
    Â»Und ich besaß auch andere Kräfte, seltsame Kräfte. Ich habe herausgefunden, dass ich andere Menschen dazu bringen konnte zu tun, was ich wollte, nur durch Suggestion.«
    Â»Hypnose.«
    Â»Ja, so nennen ein paar von den Jüngeren das gern.«
    Ich schüttelte den Kopf. Das kaufte ich ihm nicht ab. Doch ich konnte keine Worte finden, um zu widersprechen.
    Â»Ich wurde mit zwei anderen Jungen bekannt gemacht, die ihren sechzehnten Geburtstag schon hinter sich hatten. Einer kam von der Hauptinsel, der andere von Bressay. Sie waren genau wie ich, genauso stark, genauso klug. Man hat mir von vier anderen erzählt, ein paar Jahre jünger, die der Rest meiner Gruppe waren. Und ich habe sechs ältere Jungen kennengelernt, die gerade
neunzehn geworden waren. Sie wussten, was wir durchmachten, sie hatten das vor drei Jahren selbst erlebt.«
    Â»Alle drei Jahre«, sagte ich.
    Â»Alle drei Jahre werden fünf bis acht Jungen geboren. Wir haben nur einen Sohn in unserem Leben, einen Sohn, der einer von uns wird.«
    Â»Trows?«, fragte ich. Ich wollte ironisch klingen, versuchte zu spotten, doch es war schwer.
    Er runzelte die Stirn. »Kunal Trows«, verbesserte er. Dann entspannte er sich, lächelte sogar ein wenig. »So viele Geschichten, so viel Unfug: kleine graue Männlein, die in Höhlen leben und Eisen fürchten. Aber tief verborgen in all diesen Legenden kann man ein Körnchen Wahrheit finden.«
    Â»All diese Frauen. All diese Toten. Wie macht ihr das?«
    Wieder lächelte er. Ich glaube, allmählich begann er sogar, sich mit all dem zu brüsten.
    Â»Der praktische Aspekt ist bemerkenswert einfach. Der Schlüssel zu allem besteht darin, Leute an der richtigen Stelle zu haben. Wenn eine Frau einmal ausgemacht ist, beobachten wir sie sehr genau. Vielleicht inszenieren wir einen Unfall, oder ihr Arzt entdeckt eine Krankheit. Natürlich gehören nicht alle Ärzte auf den Inseln zu uns. Wenn sie erst einmal im Krankenhaus ist, geht alles ziemlich glatt, obwohl natürlich

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