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Todesopfer

Todesopfer

Titel: Todesopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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ich Richard aus weiter Ferne rufen. »Sie verblutet uns noch, ehe wir sie zurückbringen können.«
    Â»Dann bring’s wieder in Ordnung, Doktor. Ich steuere das Boot.«
    Der Schmerz ließ geringfügig nach, zog sich aus meinem Kopf, meiner Brust, meiner Bauchhöhle zurück und konzentrierte sich auf einen Punkt: die Weichteile meines Oberschenkels. Die Dunkelheit in meinem Kopf verschwand, und ich konnte wieder sehen und hören. Ein beängstigendes Geräusch erfüllte die Kajüte, und mir wurde klar, dass ich das war – dass ich schrie. Richard schob mir die Hände unter die Schultern und schleifte mich über den Boden zur Steuerbordkabine. Mit einer Kraft, die ich ihm niemals zugetraut hätte, hob er mich hoch und legte mich auf die Koje, neben die reglose Gestalt einer Frau. Freya, trotz der Schmerzen erkannte ich sie. Dann nahm er meine beiden Hände und presste sie auf die Wunde.
    Â»Fest draufdrücken«, wies er mich an. »Bring die Blutung zum Stehen. Du weißt ja, was passiert, wenn du’s nicht tust.«
    Nur allzu gut. Blut quoll aus meinem Bein. Höchstwahrscheinlich hatte Gair eine Arterie getroffen und ich somit ein Riesenproblem. Ich drückte so fest ich konnte, doch ich spürte, wie die Kraft mich verließ. Es fühlte sich so an wie kurz vor dem Einschlafen, wenn es unmöglich wird, die Gedanken selbst auf die simpelsten Dinge zu konzentrieren. Nur dass ich nicht schlafen durfte. Ich musste bei Bewusstsein bleiben. Ich hörte Gair am Funkgerät und das Knistern, als ihm jemand antwortete.

    Richard war wieder da. Er schob meine Hände weg und wickelte etwas um mein Bein. Dann zog er es fest und noch fester. Ich blickte nach unten. Das Weiß des Verbandes war bereits scharlachrot gefärbt. Ich kann kein frisches Blut sehen, ohne es zu bewundern. So eine erstaunliche Flüssigkeit, stark und lebendig, so eine schöne Farbe, so traurig zu sehen, wie es davonfloss, zwischen den Bodendielen hindurch in die Bilge tropfte, um spurlos im kalten Salzwasser der Nordsee zu verschwinden.
    Gair gab die Koordinaten unserer Position durch. Verstärkung war unterwegs. Ich hatte verloren. Ich würde nach Tronal zurückgebracht werden, um die nächsten acht Monate angekettet und unter Medikamenteneinfluss zu verbringen, während ein neues Leben in mir heranwuchs. Ein Leben, auf das ich gehofft, um das ich gebetet hatte. Und jetzt, wo es da war, würde es meinen Tod bedeuten. Ich fragte mich, was sie wohl mit Duncan machen würden, ob man ihn am Leben lassen, ihm eine letzte Chance geben würde, in den Schoß der Gemeinschaft zurückzukehren. Oder ob er bereits tot war.
    Richard drehte mich so, dass mein Kopf auf Freyas Schulter ruhte, und lehnte dann mein linkes Bein aufrecht an die Wand, ließ die Schwerkraft wirken. Dann beugte er sich vor, legte mir die Hände auf die Schultern und sah mir in die Augen. Der Raum schien um ihn herum dunkler zu werden.
    Â»Jetzt entspann dich«, sagte er. »Die Schmerzen werden vergehen.«
    Ich gab mir alle Mühe und zwang mich die Augen zu schließen. »Hypnotisierst du mich?«
    Â»Nein.« Er strich mir über die Stirn, und meine Augen öffneten sich. »Ich beruhige dich nur, helfe dir mit den Schmerzen.«
    Er fuhr fort, meine Stirn zu streicheln, und tatsächlich schienen die Schmerzen nachzulassen. Doch mit ihnen ließ auch der Rest meiner Konzentrationsfähigkeit nach. Ich begann wegzudriften, aber das wollte ich nicht.
    Ich hob den Arm und bekam seine Hand zu fassen.

    Â»Warum?«, brachte ich hervor. »Warum tötet ihr uns? Warum hasst ihr eure Mütter so sehr?«
    Er hielt meine Finger mit beiden Händen umfasst. »Wir haben keine Wahl«, antwortete er. »Das ist es, was uns zu dem macht, was wir sind.« Er beugte sich tiefer herab. »Aber glaub niemals, dass wir die Frauen hassen, die unsere Kinder gebären. Das tun wir nicht. Wir trauern um unsere Mütter, ehren ihr Andenken, vermissen sie unser ganzes Leben lang. Wir sind kein religiöses Volk, aber wenn wir es wären, dann wären unsere Mütter unsere Heiligen. Sie haben das ultimative Opfer für ihre Söhne gebracht.«
    Â»Ihre Leben«, flüsterte ich.
    Â»Ihre Herzen«, sagte er.
    Ich riss den Blick von seinem los, starrte wieder auf den mit Blut durchtränkten Verband um mein Bein – und wusste, was er mir jetzt sagen

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