Todesqual: Thriller
trocken.
»Lange ist sie noch nicht weg«, stellte sie fest, »aber ich glaube nicht, dass sie heute Morgen hier war. Vermutlich hat sie irgendwann gestern das Haus verlassen und ist nachts nicht wiedergekommen.«
»Sie ist Pornostar. Wahrscheinlich geht sie nebenbei auf den Strich. Sie könnte ja nachts gearbeitet haben. Lass uns oben nachsehen.«
Sie eilten die Stufen hinauf und trennten sich oben. Lena kontrollierte Schlafzimmer, Bad und Wandschränke. Kurz darauf war Novak wieder bei ihr.
»Es gibt noch ein Gästezimmer mit Bad«, verkündete er. »Aber da ist sie auch nicht.«
Auf der Suche nach einer Zeitschrift mit Abo-Aufkleber oder einem Briefumschlag, auf dem vielleicht der richtige Name der Pornodarstellerin stand, blickte Lena sich um. Doch in der Wohnung herrschte eine penible Ordnung, die Lena merkwürdig vorkam. Neben dem Bett bemerkte sie einen Bücherstapel, einen Gehstock und einen Strickbeutel, aus dem die Wollknäuel quollen. Einen Fernseher gab es hier nicht. Seit dem Mord an Burell hatte Lena die meisten seiner ehemaligen Mitarbeiterinnen befragt und mehr als die Hälfte von ihnen zu Hause besucht. Jede der Wohnungen war geschmacklos, billig und schäbig eingerichtet gewesen. Ganz im Gegensatz zu dieser hier.
»Meinst du, wir haben Mist gebaut?«, fragte Novak. »Sind wir überhaupt in der richtigen Wohnung?«
Lena musterte die Kleidung der Frau im Wandschrank und zählte zehn konservative Bürokostüme.
»Irgendetwas stinkt hier, Lena. Außerdem sind wir nicht einfach hier hereinspaziert, sondern haben die Tür aufgebrochen.«
»Es ist die richtige Wohnung«, erwiderte sie.
Novak schien zwar nicht überzeugt, ging aber zur Kommode und zog die oberste Schublade auf: Schals, Schmuckstücke und eine leere alte Brieftasche. Die zweite Schublade war voller T-Shirts und Oberteile. In der untersten befand sich die Unterwäsche der Frau.
»Hol sie raus«, sagte Lena. »Wir wollen sie uns ansehen.«
Novak förderte ein Nachthemd zutage. Es bestand aus Baumwolle, ein Kleidungsstück, das man der Bequemlichkeit halber, nicht etwa zum Vorspiel trug.
»Alles hier ist keusch und sittsam«, verkündete er.
Er legte das Nachthemd zurück und schloss die Schublade. Doch als er unter das Bett spähte, entdeckte er eine Sporttasche. Er öffnete den Reißverschluss, und seine Augen leuchteten auf.
»Hier hat sie die Sachen also!«, rief er aus.
Novak drehte die Tasche um und kippte den Inhalt aufs Bett. Neugierig beugte Lena sich vor. Es waren einige Negligées und etwa ein Dutzend Tangas und BHs. Beim Durchsuchen des Kleiderhaufens bemerkte sie auch einen Strapsgürtel mit Strümpfen. Als sie auf eine schwarze Perücke stieß, drehte sie sich zu Novak um.
»Wir sind in der richtigen Wohnung«, sagte sie.
Lena tastete die Seitentasche ab, wo sie Candy Bellringers Schminksachen sowie einen Vibrator und einen großzügigen Vorrat Gleitmittel fand. Sie breitete die Schminksachen auf dem Bett aus und betrachtete die Farben. Grell und auffällig. Man musste kein Genie sein, um zu erkennen, dass eine Frau sich nicht so schminkte, wenn sie im Bürokostüm ihrem bürgerlichen Beruf nachging.
»Was denkst du?«, fragte Novak.
»Sie führt ein Doppelleben. Das hier ist ihre Maske, ihre Verkleidung. Diese Frau ist keine Profi-Pornodarstellerin, sondern eine Amateurin, die versucht, ihre Identität geheim zu halten. Vielleicht hat sie uns deshalb nicht zurückgerufen. Sie möchte nicht, dass jemand davon erfährt.«
»Also ist alles in Butter? Sie hat sich heute Nacht von irgendjemandem durchvögeln lassen und ist dann aufgestanden und zur Arbeit gegangen? Das ist doch Schwachsinn.«
»Das habe ich doch gar nicht behauptet. Ich sage nur, dass sie zwei nicht miteinander zu vereinbarende Leben führt.«
Lena ließ den Blick noch einmal durch den Raum schweifen, bis er an einem antiken Tisch mit passendem Stuhl am Fenster hängen blieb. Der Tisch hatte eine Schublade.
Lena schob den Stuhl beiseite und zog die Schublade auf. Sie enthielt ein Scheckbuch, Briefmarken, einen Stift und einige von Büroklammern zusammengehaltene Rechnungen. Doch am aufschlussreichsten war der Umschlag ganz oben: ein Gehaltsscheck.
Novak beugte sich über ihre Schulter, während sie aufgeregt den Umschlag aufriss. Lena nahm den Scheck heraus und hörte, wie ihr Partner nach Luft schnappte. Auch sie hatte das Gefühl, als würde ihr gleich das Herz stehen bleiben.
Der Scheck war auf Harriet Wilson ausgestellt. Sie war bei der
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