Todesqual: Thriller
Spiegel beobachtete, stellte sie fest, dass er sich nicht abgewandt hatte, sondern sie weiter durch das Fenster anstarrte.
»Ist es dir auch aufgefallen?«, flüsterte sie.
»Ja«, erwiderte Novak. »Wo mag bloß sein Freund sein?«
Lena ließ den Blick durch den Raum schweifen, betrachtete die Gesichter und versuchte, das richtige zu erkennen. Es war laut im Lokal, das bei Stammgästen aus dem Viertel sehr beliebt zu sein schien. Ein Mann lehnte an der Wand und wartete darauf, dass die Toilette frei wurde. Ein anderer stand an der Kasse.
Wieder musterte sie Martin Fellows im Spiegel. Er war ein seltsam aussehender Mann, der etwas Raubtierartiges an sich hatte. Außerdem war er sichtlich nervös. Obwohl er saß und voll bekleidet war, merkte sie ihm an, dass er ungewöhnlich gut in Form sein musste. So breite Schultern, einen Bizeps und Halsmuskeln wie diese bekam man nicht allein davon, dass man Sport trieb. Er stemmte sicher Gewichte.
»Wie wollen wir vorgehen?«, fragte sie.
»Mich interessiert, mit wem er zu Mittag isst.«
»Und danach?«
»Keine Ahnung. Die Uhr tickt. Möglicherweise lebt Harriet Wilson noch. Aber wir haben nicht genug in der Hand, um ihn festzunehmen.«
An dieser Feststellung gab es nichts zu rütteln. Schließlich stützte sich ihre Identifikation von Romeo ausschließlich auf Indizien. Angefangen hatte es mit einem mutierten Delta-32-Gen. Ein Urahn von Romeo hatte die Pest überlebt, weshalb sie wussten, dass sie nach einem Mann europäischer Abstammung suchten. Den Rest hatten sie aus den Aussagen der Vergewaltigungsopfer herausgefiltert. Allerdings gab es keine stichhaltigen Beweise, die einen Zusammenhang zwischen den sexuellen Übergriffen und den Morden herstellten, die letzten Monat begonnen hatten. Aber zumindest kannten sie nun die Verbindung zwischen der Dreggco Corporation und Charles Burells Webseite. Wenn James Brant ihnen bereits in der Nacht seiner Vernehmung von seinem Seitenhieb gegen Fellows erzählt hätte, hätten sie vielleicht schon einen oder zwei Tage früher hier sitzen können. Doch das hätte nichts geändert, denn ihr Problem wäre dasselbe gewesen. Sie hatten ihren Täter. Jetzt brauchten sie nur noch seine DNA.
Jemand klopfte mit einem Stift auf die Theke. Es war die Kellnerin, eine rundliche alte Frau, die Lena prüfend musterte und offenbar Dienstmarke und Pistole bemerkt hatte.
»Sind Sie im Dienst oder wollen Sie etwas essen?«, fragte die Frau.
Novak bestellte eine Cola Light und sagte, er habe sich die Speisekarte noch nicht angesehen. Lena überlegte, ob sie Kaffee trinken sollte, fühlte sich aber so aufgedreht, dass sie stattdessen ein Glas Wasser orderte.
»Das Leitungswasser hier ist ungenießbar«, meinte die Kellnerin. »Zum Kleiderwaschen genügt es, aber trinken kann man es nicht. Deshalb bieten wir nur Wasser in Flaschen an. In Ordnung?«
Lena nickte. Als die Kellnerin fort war, blickte sie wieder in den Spiegel. Fellows verspeiste sein Mittagessen, offenbar kein Sandwich, sondern etwas, wofür man eine Gabel brauchte. Wenn er sie liegen ließ, konnten sie sie rasch ins Labor bringen.
»Etwas stimmt nicht mit seiner Sonnenbrille«, sagte sie.
»So etwas kriegt man nicht im Drogeriemarkt.«
»Eher beim Augenarzt nach einer Untersuchung.«
»Aber er war nicht beim Augenarzt«, stellte Novak fest.
Endlich ging die Tür zur Toilette auf, und ein Mann kam heraus. Er war schätzungsweise dreißig und schlank und hatte langes, dunkles Haar. Als er in der Mitte des Raums stehen blieb und hinausschaute, folgte Lena seinem Blick. Doch der galt nicht Fellows, sondern einer jungen Frau, die gerade auf Rollerblades den Gehweg entlangsauste. Sobald sie fort war, kehrte der Mann zu seinem Platz in der Ecke zurück.
Novak sah Lena an und schüttelte den Kopf. Die Kellnerin brachte die Getränke.
»Darf ich Sie was fragen?«, wandte er sich an die Frau.
»Legen Sie los, ich bin nur für Sie da«, gab sie zurück.
Novak verzog das Gesicht. Dann deutete er auf Fellows’ Spiegelbild. »Jemand hat uns erzählt, er würde immer mit einem Freund zu Mittag essen.«
Die alte Frau schaute in den Spiegel. »Auf wen zeigen Sie?«
»Den Kerl mit dem rasierten Schädel.«
Als sie ihn erkannte, rümpfte sie die Nase. »Mr. Doppelportion.«
»Das hat man uns erzählt.«
»Tja, da haben Sie was Falsches gehört. Mr. Doppelportion hat keine Freunde. Zumindest habe ich nie einen gesehen.«
»Warum nennen Sie ihn Mr. Doppelportion?«, fragte
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