Todesregen
aus der Kakophonie erkennbare Wörter auf, aber immer nur zwei oder drei Sätze.
In zwei Fällen waren offenbar Reporter oder Behördensprecher dabei, offizielle Verlautbarungen zu verlesen. Diese enthielten allerdings keinerlei konkrete Information, sondern hauptsächlich leere Beruhigungsfloskeln.
Irgendein Mann in einem Sender aus Denver sprach direkt zu seiner Frau und seinem Sohn und drückte mit einfachen, aber bewegenden Worten seine Liebe zu ihnen aus. Offenbar rechnete er nicht damit, die beiden jemals wiederzusehen.
Aus einem fernen Ort kam Musik durch den turbulenten Äther der Katastrophennacht, der Evergreen »I’ll be seeing you«.
Schon in gewöhnlichen Zeiten schnitten der erlesen melancholische Text und die sehnsüchtige Melodie Molly ins
Herz. Unter diesen außergewöhnlichen Umständen wurde dieser Song über verlorene Liebe plötzlich zu einer treffenden Metapher für den viel größeren Verlust einer ganzen Gesellschaft, einer Zivilisation, für das plötzliche Ende von Frieden, Hoffnung und Verheißung.
Im Lauf von Mollys Leben war die Welt immer kleiner geworden, durch das Fernsehen, durch Kommunikationssatelliten, durch das Internet. Nun waren diese Bande innerhalb weniger Stunden durchtrennt worden, und die klein gewordene Welt hatte sich wieder zu der Größe ausgedehnt, die sie vor über einem Jahrhundert gehabt hatte.
Der Mann in Denver, der zu seiner Frau und seinem Sohn gesprochen hatte, hatte geklungen, als säße er auf einem anderen Kontinent vor dem Mikrofon. Und nun trug dieser Song, der kurz vor dem Zweiten Weltkrieg entstanden war und die Unsicherheit jener unruhigen Zeit verkörperte, ein Gefühl der Ferne mit durch die Nacht. Er hörte sich an, als käme er nicht nur aus dem fernen Europa, sondern aus dem Europa einer anderen Epoche, so, als wäre er nicht nur um die halbe Welt gereist, sondern auch durch mehr als ein halbes Jahrhundert.
Mollys Augen schwammen in Tränen.
Das Gefühl eines Verlusts, das sich mit jedem Ton des Songs verdichtete, wurde so schmerzhaft wie ein Messer in der Brust. Dennoch bat sie Neil nicht, das Radio auszuschalten, denn das hätte sie der letzten, dünnen Verbindung mit einer Zivilisation beraubt, die sich in den ätzenden Wassern des übernatürlichen Unwetters rasch aufzulösen schien.
Dann hatte Neil entweder ihre Reaktion auf den Song wahrgenommen, oder er empfand dasselbe, denn er drückte auf die Suchtaste, um einen anderen Sender zu finden.
Nach allerhand Quäken und Rauschen und viel zu vielen Frequenzen, auf denen unheilvolles Schweigen herrschte, fand sich im Radio eine klare Stimme. Ein Diskjockey,
ein Talkshow-Moderator, ein Nachrichtensprecher – wer immer er war, er klang zornig und verängstigt.
Wie besessen berichtete er von einer Audioübertragung von der Besatzung der Internationalen Raumstation, die die Erde umkreiste. Sie war am frühen Abend gesendet worden, zu derselben Zeit, in der sich auf mehreren Ozeanen die gigantischen Wasserhosen gebildet hatten. »Ich hab das schon zehn Mal vorgespielt, und ich werde es noch zehn Mal vorspielen, hundert Mal, verdammt, ich werde es vorspielen, bis die Stromversorgung zusammenbricht und wir nicht mehr senden können, bis irgendetwas die Tür einschlägt und uns alle umbringt. Hör dir das an, Amerika, hör gut zu und erkenne deinen Feind ! Hier geht es nicht um globale Erwärmung, um Sonnenflecken, um kosmische Strahlung, dies ist kein unerklärlicher Salto, den das Klima unseres Planeten schlägt. Dies ist der Krieg der Welten !«
Die folgende Übertragung war entweder in Segmenten empfangen oder für die Radiosendung aufbereitet worden. Am Anfang klang Überraschung durch, Erregung, ja Staunen. Bald jedoch änderte sich der Ton.
Zuerst berichtete ein Astronaut, der Englisch mit russischem Akzent sprach, nach einem Ausfall der äußeren Kameras habe ein unbekanntes Fahrzeug an der Raumstation angedockt. Das war eine Überraschung, weil die Instrumente nicht wahrgenommen hatten, dass sich etwas näherte, sei es unkontrolliert kreisender Weltraummüll oder ein unbekanntes Flugobjekt mit bestimmtem Kurs.
Wong, der Kommunikationsoffizier, war nicht in der Lage, den unerwarteten Besuchern eine Reaktion zu entlocken. »Sag mal, bist du wirklich sicher, dass etwas angedockt hat?«, fragte er seinen Kollegen.
»Absolut«, erwiderte der Russe.
»Keine Fehlfunktion des Computers, keine falsche Meldung? «
»Njet. Ich habe es gespürt . Du doch auch, wir alle haben es
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