Todesregen
Fenster stehen geblieben, die Füße in einer Regenlache.
»Man hat Crain in eine Hochsicherheitsanstalt geschafft, und ich, nun, ich bin ungestraft davongekommen. Das ist jetzt fünfzehn Jahre her, aber wenn ich nachts alleine im Bett liege, zwischen Verlangen und Zuckung, erregt mich die Erinnerung an den erwürgten Jungen genauso stark wie beim ersten Mal, als ich mich damit stimuliert habe.«
Die ganze Zeit hatte Molly einen Unterschied zu früher an ihm wahrgenommen, aber sie hätte nicht sagen können, worin er bestand. Nun jedoch begriff sie. Der Zorn, der früher für ihn so charakteristisch war, war verschwunden. Sein hitziges Temperament hatte sich abgekühlt.
Neu an ihm war eine selbstzufriedene Pose, die schon fast blasiert zu nennen war. Und die intensive Konzentration
eines Raubtiers. Die dunkle Belustigung in seiner Stimme. Ein Schimmer höhnischer Freude in seinen Augen.
Zwanzig Jahre in der Obhut von Psychiatern hatten dazu geführt, dass sein roher Zorn zu soziopathischer Verachtung und psychotischer Häme gereift war, zu verfeinerter, gut abgehangener Gehässigkeit.
»Und nun meine Fragen«, sagte er. Wieder dieses Grinsen, fast ein Feixen. »Ist deine Mutter noch immer tot?«
Molly begriff nicht, was Render damit bezweckte, dass er hierherkam. Wenn er ihr etwas antun wollte, dann hätte er sie von hinten überfallen können, statt sich zu erkennen zu geben.
»Liest eigentlich noch irgendjemand die Bücher dieser dämlichen Zicke?«
Die Situation wurde immer unwirklicher. Wieso war er so weit gereist, nur um ihr von dem erwürgten Jungen zu erzählen, wo er doch wusste, dass Molly ihn nicht noch stärker verabscheuen konnte, als sie ihn schon verabscheute? Und wieso zog er über ihre Mutter her, wo er doch wusste, dass sie auf seine Beleidigungen nur mit Verachtung reagieren würde?
»Ist überhaupt noch ein Buch von ihr erhältlich? Als Schriftstellerin war sie nämlich genauso miserabel wie im Bett.«
Mit seinem Hohn schien er Molly dazu bringen zu wollen, auf ihn zu schießen, aber das ergab keinen Sinn. Seine beispiellose Arroganz und seine grausame Natur konnten doch nur bedeuten, dass er unfähig war, Reue oder Schuld zu empfinden. Seine Leidenschaft richtete sich auf Mord, nicht auf Selbstmord.
»Und ist noch eins von deinen Büchern erhältlich, mein Schatz? Ist es nach dieser Nacht nicht sowieso völlig egal, dass du mal was geschrieben hast? Oder dass du überhaupt existiert hast? Als Schriftstellerin bist du gescheitert, als Frau bist du unfruchtbar, du bist nur ein leeres Loch.
Dunkel, dunkel, dunkel – sie alle gehen ein ins Dunkel. Du auch, bald sogar. Hast du schon daran gedacht, die Pistole da gegen dich selbst zu richten, um den Schrecknissen zu entgehen, die dich erwarten?«
Sie hatte den Eindruck, dass er gleich durch das offene Fenster verschwinden wollte. »Versuch bloß nicht abzuhauen«, sagte sie warnend.
Er hob die Augenbrauen. »Wie – meinst du, du kannst in der Anstalt anrufen, damit die rasch ein paar Weißkittel mit einer Zwangsjacke herschicken? Die Tore stehen offen, Süße! Ist dir nicht klar, was geschehen ist? Die Tore sind offen. Es gibt keine Autorität mehr. Jetzt heißt es fressen oder gefressen werden, und jeder Mensch ist eine Bestie.«
Als er sich zum Fenster bückte, löste sich der merkwürdige Bann, der Molly gefesselt hatte. Sie trat auf ihn zu. »Nein. Bleib da, verdammt noch mal!«
Wieder dieses Grinsen, hämisch, voller Gelüste und ohne jeglichen Humor. »Du kennst doch die Geschichte von der Sintflut, der Arche, den Tieren, die paarweise an Bord gehen, den ganzen Blödsinn aus dem Alten Testament. Aber weißt du auch, warum ? Warum die Welt enden musste, warum es diese Katastrophe gab, die große Waschung und dann einen ganz neuen Anfang?«
»Weg vom Fenster!«
»Jetzt ist es genau dasselbe. Aber lassen wir das. Du hast einmal das Richtige getan, doch jetzt ist dein Kopf vollgestopft mit zwanzig Jahren sogenannter Bildung, und das bedeutet Zweifel, Unsicherheit und Verwirrung. Jetzt kannst du mir entweder in den Rücken schießen, wie du es schon einmal getan hast, oder dir die Pistole selbst in den Mund stecken und dir das Hirn aus dem Schädel blasen.«
Render zog den Kopf ein, duckte sich unter die Kante und schwang sich über das Fensterbrett, während Molly brüllte: »Neil!«
Die Tür sprang auf und Neil kam hereingestürmt, als Molly gerade das offene Fenster erreichte. »Was ist passiert? «, rief er.
Molly bückte
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