Todesreigen
Möglichkeit, an das Geld heranzukommen?«
»Ich glaube schon. Aber er war wirklich vorsichtig, ihr Mann.«
»Vorsichtig?« Sie zog das Wort in die Länge.
»Es war ihm sehr wichtig, diese Posten zu verschleiern. Alles wäre einfacher, wenn ich wüsste, warum er das getan hat.«
»Ich habe keine Ahnung.« Sie hob eine Hand und ließ sie auf ihren kräftigen Oberschenkel fallen. »Vielleicht war es als Altersvorsorge gedacht.«
Aber Ralston lächelte.
»Hab ich etwas Dummes gesagt?«
»Geld für den Ruhestand steckt man in einen Pensionsfonds. Nicht auf die Cayman Islands.«
»Hat Jim etwas Illegales getan?«
»Nicht unbedingt. Vielleicht.« Er leerte seinen Becher. »Wollen Sie, dass ich weitermache?«
»Ja«, erklärte Sandra May mit fester Stimme. »Egal, mit welchem Aufwand, und egal, was Sie finden. Ich brauche dieses Geld.«
»Dann finde ich es. Aber es wird kompliziert werden, richtig kompliziert. Wir werden Prozesse in Delaware, New York und auf den Cayman Islands führen müssen. Können Sie mehrere Monate am Stück von hier fortbleiben?«
Nach einer Pause antwortete sie: »Das könnte ich. Aber ich will es nicht. Hier ist mein Zuhause.«
»Nun, Sie könnten mir eine juristische Vollmacht erteilen, um die Dinge zu regeln. Aber so gut kennen Sie mich nicht.«
»Lassen Sie mich darüber nachdenken.« Sandra May nahm die Spange aus dem Haar und ließ die blonden Strähnen fallen. Sie lehnte den Kopf zurück und betrachtete den Himmel, die Sterne und den faszinierenden, beinahe vollen Mond. Sie registrierte, dass sie sich nicht gegen den Rücken der Verandaschaukel lehnte, sondern gegen Ralstons Schulter. Trotzdem bewegte sie sich nicht.
Dann waren die Sterne und der Mond hinter seiner dunklen Silhouette verschwunden, und er küsste sie. Seine Hand hielt ihren Hinterkopf, dann ihren Hals, dann schob sie sich nach vorn und löste die Knöpfe, die die Träger ihres Kleids hielten. Sie erwiderte heftig seine Küsse. Seine Hand bewegte sich hoch zu ihrer Kehle und öffnete die obersten Knöpfe ihrer Bluse, die sie hochgeschlossen trug – so wie anständige Ladys sie nach den Worten ihrer Mutter immer tragen sollten.
Später in der Nacht lag sie allein im Bett – Bill Ralston war einige Stunden zuvor aufgebrochen – und starrte hinauf an die Decke.
Die Angst war wieder da. Die Angst, alles zu verlieren.
Oh Jim, was wird nur passieren?, wandte sie sich in Gedanken an ihren Ehemann, der tief im roten Lehm der Pine Creek Memorial Gardens ruhte.
Sie sah ihr bisheriges Leben vor sich – wie es sich anders als von ihr geplant entwickelt hatte. Wie sie sechs Monate vor ihrem Abschluss die Georgia State University verlassen hatte, um mit ihm zusammen zu sein. Sie dachte daran, wie sie ihre eigenen Hoffnungen, im Verkauf zu arbeiten, begraben hatte. Und wie sie in eine gewisse Routine verfallen waren: Jim führte die Firma, während sie die Kunden unterhielt, freiwillig im Krankenhaus und im Women’s Club arbeitete und nebenher den Haushalt führte. Der ein Haushalt voller Kinder hatte sein sollen – jedenfalls hatte sie darauf gehofft. Aber es war nie so gekommen.
Und jetzt war Sandra May DuMont einfach eine kinderlose Witwe…
Genau das sahen die Menschen in Pine Creek in ihr. Die Stadtwitwe. Sie wussten, dass die Firma pleite gehen würde, dass sie in eines der schrecklichen Apartments an der Sullivan Street ziehen und langsam verblassen würde, ein Stück Tapete des Lebens in einer Kleinstadt im Süden. Mehr sahen die Leute nicht in ihr.
Aber genau das sollte nicht passieren.
Nein Ma’am… Sie konnte immer noch jemanden kennen lernen und eine Familie gründen. Sie war jung. Sie konnte in einen anderen Ort ziehen, eine Großstadt vielleicht – Atlanta, Charleston… Teufel, warum eigentlich nicht sogar New York?
Eine Frau im Süden muss eine Spur stärker sein als ihr Mann. Und auch eine Spur klüger…
Sie
würde
aus diesem Schlamassel herauskommen.
Und Ralston konnte ihr dabei helfen. Es war die richtige Entscheidung gewesen, ihn auszuwählen.
Als sie am nächsten Morgen aufwachte, bemerkte Sandra May, dass sich ihre Handgelenke verkrampft hatten; sie war mit geballten Fäusten eingeschlafen.
Zwei Stunden später, als sie im Büro erschien, nahm Loretta sie zur Seite, starrte ihre Chefin aus ihren mascaraschwarzen Augen verzweifelt an und flüsterte: »Ich weiß nicht, wie ich es Ihnen sagen soll, Mrs. DuMont, aber ich glaube, er will Sie ausrauben. Mr. Ralston, meine
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